Schon eigenartig: Der EU-Rat musste den finanziell angeschlagenen Mitgliedsländern hunderte Milliarden Euro in Aussicht stellen - obwohl die europäische Wirtschaft insgesamt überhaupt nicht in der Krise steckt, im Gegenteil, die meisten aktuellen Umfragen und Wirtschaftsindikatoren auf einen starken Aufschwung hinweisen, und das eine Land, das sich wirklich konkret in Schwierigkeiten befindet - nämlich Griechenland - lediglich für drei Prozent des BIP der Union verantwortlich ist.
Dennoch stellt die Krise die Europäische Union vor eine beinahe existenzielle Herausforderung - und erfordert auch enorme Summen -, weil sie das wichtigste Grundprinzip europäischen Regierens betrifft: das Wesen des Staates. Der Fall Griechenland hat die ebenso simple wie grundlegende Frage aufgeworfen: Kann man einen Mitgliedsstaat der EU pleitegehen lassen?
Bekanntlich hat der Europäische Rat auch eine Arbeitsgruppe unter der Leitung von Präsident Herman Van Rompuy ins Leben gerufen, um - über die Akutmaßnahmen hinaus - konkrete Vorschläge zur Reform der Währungsunion zu erarbeiten.
Und diese Gruppe muss nun eine grundlegende - und längst überfällige - Entscheidung treffen: Soll die EU ihre Bemühungen allein auf die Vermeidung eines Bankrotts richten (einschließlich unbefristeter finanzieller Hilfe), oder soll man sich auch auf den Bankrott eines Mitgliedsstaates vorbereiten, um dann allenfalls die Folgen zu lindern?
Die erste Möglichkeit birgt zwangsläufig aufwändige Maßnahmen, die wohl auf ein Noch-mehr des schon bisher Praktizierten hinauslaufen würden - auf eine Stärkung des Stabilitäts- und Wachstumspakts, zum Beispiel, mit noch mehr Bestimmungen für wirtschaftspolitische Überwachung und Zusammenarbeit. Aber dieser Ansatz gibt leider keine Antwort auf die fundamentale Frage: Was, wenn das Rahmenwerk nicht funktioniert?
Und solange die EU-Führungsspitzen darauf keine Antwort haben, werden an den Finanzmärkten auch weiterhin Zweifel hinsichtlich der langfristigen Stabilität des Euro bestehen bleiben.
Ohne einen soliden Rahmen zur Krisenbewältigung und die Fähigkeit, mit einem Staatsbankrott eines Mitglieds umzugehen, kann sich die Eurozone in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht nicht stabilisieren. Die Auffassung, wonach man Mitgliedsländer nicht pleitegehen lassen kann, impliziert nämlich logischerweise, dass der Euro durch eine politische oder zumindest eine haushaltspolitische Union untermauert sein muss - was bisher aber nicht der Fall ist.
Die führenden europäischen Politiker stehen somit vor der Wahl: Entweder einen radikalen Schritt in Richtung einer politischen Integration zu unternehmen oder ein klares Rahmenwerk für den Umgang mit den Folgen eines Staatsbankrotts eines Mitglieds zu erarbeiten, um so an den grundlegenden Regeln der Währungsunion festzuhalten. An dieser Entscheidung führt kein Weg mehr vorbei. (©Project Syndicate, 2010; aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier; DER STANDARD, Print-Ausgabe, 22./23./24.5.2010)