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Kemal Kiliçdaroglu wird von seinen Fans als "Gandhi der Türkei" bezeichnet

Foto: AP/Burhan Ozbilici

Kemal Kiliçdaroglu, der neue Anführer der größten Oppositionspartei der Türkei, ist nicht nur in seinem Anspruch, sondern auch durch seine Herkunft ein Mann aus dem Volk. Wie Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan, der aus einem Armenviertel in Istanbul stammt, kommt Kiliçdaroglu aus einer großen, armen Familie mit alevitisch-kurdischen Wurzeln. Er ist eines von sieben Kindern und wuchs in einem Dorf in Dersim auf, einer einstigen kurdischen Unruheprovinz im Osten der Türkei.

Die Familie gehört zum Clan der Kureysan, die ihre Linie auf Ali, den Schwiegersohn und Vetter des Propheten Mohammed und Stammvater der Schiiten und Aleviten, zurückführen. Kiliçdaroglu ist in der toleranten Kultur der Aleviten groß geworden. Auch wenn er selbst seine Politik nicht durch Glauben oder ethnische Herkunft definieren will, ist sein Habitus doch unübersehbar durch seine alevitische Abstammung geprägt. Nicht umsonst wird er von seinen Fans als "Gandhi der Türkei" bezeichnet.

Als einziges der sieben Kinder konnte er studieren und ging anschließend in den Staatsdienst. Schon sein Vater war kleiner Angestellter bei der Stadtverwaltung, und auch Sohn Kemal wollte sein Leben im "Dienste der Bürger" verbringen, wie er einmal sagte. Nach etlichen Stationen in der Bürokratie ging er 1992 zur staatlichen Krankenkasse, deren Präsident er später wurde. Durch die Erfahrung geschult, gilt Kiliçdaroglu als versiert und engagiert in der Sozialpolitik.

Ins Parlament gewählt wurde er 2002, dem Jahr, als die AKP von Premier Erdogan ihren ersten großen Wahlsieg errang. Einem größeren Publikum wurde er vor einem guten Jahr bekannt, als er bei den Kommunalwahlen gegen den Amtsinhaber der AKP in Istanbul antrat. Mit einer gekonnten Kampagne, in der er die Korruption der Parteifürsten der AKP anprangerte, errang er ein sensationell gutes Ergebnis und kam mit über 40 Prozent ganz dicht an einen Sieg heran.

Seitdem galt er für viele Linke in der Türkei als kommende Führungsfigur, der es gelingen könnte, die zersplitterte Opposition zu vereinen und wieder eine Sozialdemokratie aufzubauen, die diesen Namen verdient. Wie sein Vorbild Bülent Ecevit, die große Figur der türkischen Sozialdemokratie, gilt er persönlich als bescheiden und integer. Nach seiner Wahl am letzten Samstag sagte seine Frau, sie hoffe, dass ihr Mann von den hohen Erwartungen an ihn nicht erdrückt werde. (DER STANDARD, Printausgabe, 25.05.2010)