In der Ecke eines Labors der Technischen Hochschule Aachen steht ein großer, grauer Kasten, zwei Meter hoch und 0,5 Meter breit, mit metallisch glänzender Oberfläche und ein paar Knöpfen, der seinen Zweck nicht sofort verrät - ein Tresor, ein Kühlschrank, ein Computer-Server? Der Computerwissenschafter René Bohne schließt einen Laptop an den silbergrauen Kasten an. Auf dem Bildschirm des Computers sieht man ein dreidimensionales Modell einer Obstschale. Dann drückt der junge Mann einen Knopf, und die Maschine beginnt zu surren und zu brummen. Langsam, wie bei einem Tintenstrahldrucker, bewegt sich im Inneren der Maschine ein Druckkopf hin und her und presst eine hauchdünne Kunststoffmenge hervor, Schicht um Schicht entsteht so ein dreidimensionaler Gegenstand. Und die Menschen im Labor schauen staunend durch ein Glasfenster zu, wie sich vor ihren Augen ein Gegenstand materialisiert. Nach einer Weile öffnet René Bohne die Glastüre des 3-D-Druckers wie ein Magier und nimmt die Obstschale heraus. Er sagt nicht Abrakadabra. Er sagt einfach: "Jetzt ist sie da."

Vor einer industriellen Revolution

Die Welt steht mal wieder vor einer industriellen Revolution. Eine neue Generation von Maschinen verändert die Art und Weise, wie Menschen Dinge herstellen. Das Material wird nicht mehr mit Gussformen und riesigen Produktionsstraßen in Form gebracht. Die Baupläne und Datensätze werden stattdessen mit Laser-Cuttern und 3-D-Druckern in Materie umgesetzt. Das revolutionäre Potenzial dieser sogenannten Rapid- Manufacturing-Technologien steht jenem der Dampfmaschine vermutlich nicht nach. Anders als bei der ersten industriellen Revolution sollen die Maschinen jedoch nicht hinter hohen Fabriktoren eingeschlossen bleiben, sondern auch für normale Menschen verfügbar sein. "Im FabLab geben wir den Menschen die Werkzeuge in die Hand", sagt Bohne, hier arbeiten keine Ingenieure und Spezialisten, sondern Bankkaufleute, Fotografen und Versicherungsberater, Menschen von der Straße. Ein paar Dutzend dieser offenen, demokratischen Minifabriken gibt es bereits auf der Welt. In Amerika, den Niederlanden, Deutschland, Norwegen und sogar Indien und Ghana. René Bohne träumt bereits von einem "Personal Fabricator", der als normales Haushaltsgerät neben Waschmaschine oder Personal Computer steht, und nicht nur solide Objekte wie eine Obstschale ausdruckt, sondern auch einen Toaster oder eine Sonnenbrille.

Es ist der Traum vom Techno-Paradies, in dem die Atome und Bits fließen und die Dinge zwar nicht vom Himmel fallen, aber immerhin auf Knopfdruck aus der Maschine kommen. "Santa-Claus-Maschine" nennt man die 3-D-Drucker deshalb auch oder verweist auf die Science-Fiction-Serie Startrek, in der ein sogenannter Replicator auf der Raumschiff-Brücke steht. Die Requisite aus der Raumschiff-Saga ist nicht länger unerreichbar. Eine Highend-Maschine, wie sie in den FabLabs steht, kostet mindestens 10.000 Euro, aber im Internet kann man bereits den Bausatz für einen "Makerbot"  bestellen, einen Roboter, der, wie es auf der Webseite der Firma ganz simpel heißt, "Dinge baut". Mehr als 1000 Bausätze hat die kleine Firma "Makerbot Industries" bereits verkauft.

Alles selbst machen

Eine der Maschinen wurde auch in einem Kellerraum in der Wiener Innenstadt geliefert. Im Metalab, einer Werkstatt, die Hacker und Computerbastler eingerichtet haben, steht der kleine Kasten neben alten Videospiel-Automaten und einer Roboterspinne in Schoßhündchengröße, die ein Metalab-Mitglied per Fernsteuerung über den Boden kriechen lässt. Der Programmierer Philipp Tiefenbacher hat keine Zeit für Kinderspiele, er ist fasziniert von der Möglichkeit, mit dem Makerbot "alle Teile, die ich brauche, selbst machen zu können, auch Dinge, die man unmöglich kaufen könnte". In einer Kiste bewahrt er kleine Kunststoffobjekte auf: Figuren, Legosteine oder eine Schmuckdose.

Noch sind Präzision und Druckgeschwindigkeit der Makerbots stark verbesserungsfähig, gibt Tiefenbacher zu, "aber es ist ja auch der erste Prototyp. Die Evolution wird nun sehr schnell gehen". Laser-Cutter und 3-D-Drucker waren lange Zeit große, teure Kästen, für deren Bedienung man ein Ingenieursdiplom benötigte und ein dickes Scheckbuch. Aber, sagt Neil Gershenfeld, der die FabLab-Bewegung am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston ins Leben gerufen hat. Noch in den 1970er- Jahren ging man in der Computer-Branche davon aus, dass Menschen keinen eigenen Computer auf dem Schreibtisch brauchen und auch nicht wollen. Im Bereich des Rapid Manufacturing, meint Gershenfeld, stehe man an einem ähnlichen Punkt der Entwicklung. Computer, Laserdrucker und Software-Programme haben den Menschen in den vergangenen Jahrzehnten zu einem Medien-Produzenten gemacht. Gershenfeld hofft nun, dass die kreativen Kräfte, die durch MP3, iPods und Internet im Bereich der Musik freigesetzt wurden, nun auch die Gestaltung und Produktion von Gegenständen und Maschinen verändern. "Wenn man den Menschen die Werkzeuge in die Hand gibt, wissen sie schon etwas damit anzufangen", sagt er und erzählt gerne Geschichten wie die von Jugendlichen in den Ghettos von Baltimore, die selbst gestalteten Schmuck herstellen und im Internet verkaufen, von Fischern, die GPS-Geräte und Antennen für ihre Boote basteln, und dem indischen FabLab, in dem ein billiges Analysegerät für den Fettgehalt der Milch entworfen wurde, damit die Bauern auf dem Markt nicht mehr ständig übers Ohr gehauen werden.

An der Eingangstür zum Aachener FabLab steht die Hausordnung: Bitte meldet einen Defekt der Laborleitung! Haltet die Geräte sauber! - pragmatische Dinge eben, Regeln, Vorschriften. Und dann folgt der letzte Punkt: "Look around, be creative!" Das FabLab ist ein Trainingslager für eine neue Form der Medien- und Materialkompetenz.

Kunstwerke und Schnapsideen

Neue Mitglieder, Fotografen, Bankkaufleute und Hausfrauen nehmen zum ersten Mal in ihrem Leben einen Lötkolben in die Hand. Am Ende des Raums saust der rote Lichtstrahl des Lasers über eine Sperrholzplatte. Fabber - Fabrikanten einer neuen Art - nennen sich die Aktivisten der Szene selbst, und das klingt nicht zufällig wie Punker oder Rocker, wie eine popkulturelle Bewegung mit eigenen Codes und eigener Sprache, die die Werte des Mainstreams infrage stellt. Fabber sind hypermoderne Heimwerker, die sich nicht länger damit begnügen, ein Gewürzregal zusammenzuschrauben, sondern die mit Design-Software und computergesteuerten Präzisionswerkzeugen ihre Ideen verwirklichen: Ersatzteile, Kunstwerke, Schnapsideen, Scheußliches und Nützliches. Baupläne und 3-D-Vorlagen für derart demokratisch designte Dinge finden sich en masse auf der Webseite Thingiverse.org.

Das Universum der Dinge ist ein Marktplatz der Zukunft, ein Netzwerk, in dem sich Bastler mit Gleichgesinnten und kompetenten Kollegen über Verfahrenstechniken austauschen oder 3-D-Modelle für Lampenschirme, Spielzeug und Schmuck zum kostenlosen Download anbieten. Ein Besuch bei Neil Gershenfeld, den FabLabs oder im Wiener Metalab ist wie eine Reise in die Zukunft, in eine Zeit, in der Menschen ganz selbstverständlich am Computer Dinge entwerfen und in der Küche ein 3-D-Drucker steht, der eine zerbrochene Tasse sofort ersetzt. Aber wie realistisch ist diese Zukunft wirklich? "Noch ist es ein Markt für Spezialisten", sagt Andreas Neef, Unternehmensberater bei der Firma Z.Punkt, der seit Jahren den Markt des Rapid Manufacturing untersucht, "aber wenn die Software und die Geräte erst einmal billiger und einfacher werden, dann wird das den Konsummarkt ganz schön durcheinanderwirbeln."

Per Post

Schon gibt es Webseiten wie rapidobject.com oder Ponoko.com, bei denen man ein 3-D-Modell hochladen kann und wenig später als materielle Version per Post zugeschickt bekommt. Und die holländischen Produktdesigner von "Freedom of Creation" verschicken ihre spektakulären Lampen und Interiors nicht mit DHL, sondern als Datei an eine Werkstatt in der Nähe des Kunden, die einen 3-D-Drucker besitzt. Dort kann man das Produkt dann abholen. Gütertransport auf dem Information-Highway.

Andreas Neef prognostiziert, dass manche Copyshops, die bislang mit Computer und Laserdrucker vor allem Hochzeitseinladungen und Diplomarbeiten produziert haben, bald auch Hardware wie 3-D-Drucker ins Portfolio aufnehmen werden. "Ich bin mir eigentlich sicher, dass in nächster Zeit ein großer Hersteller wie Canon oder Hewlett-Packard in den Markt einsteigen wird", sagt Andreas Neef und kann sich sogar vorstellen, dass Firmen wie Ikea oder Lego ein Download-Portal für ihre Kunststoff-Produkte einrichten werden. "Viele Firmen haben Angst davor, die Daten ihrer Produkte zu veröffentlichen", sagt er. Die Konsumgüterindustrie befürchtet ähnlich wie die Musik- und Filmbranche zum Opfer der Produktpiraten zu werden. Eine absurde Vorstellung? Auf thingiverse.com kann man bereits patentierte Bauteile für Zentrifugen herunterladen - und eine Mickymaus-Figur, an der bekanntlich der Disney-Konzern die Rechte hält.  (Tobias Moorsted, DER StANDARD Printausgabe)