Thomas Salme in seiner geliebten Uniform.

Foto: Privat

Der Schwede Thomas Salme steuerte 13 Jahre lang Passagierflugzeuge mehrere europäischer Fluglinien. Dabei passierten ihm zwar weder ein Unfall noch sonst ein Fehler, trotzdem wurde er jüngst gefeuert. Grund: Er besaß all die Jahre keinen Pilotenschein. Seit seiner Enttarnung tingelt er von Pressetermin zu Pressetermin rund um den Globus und wird von der Facebook-Community als Held gefeiert. Wie es dazu kam, erzählt er im derStandard.at-Interview.

derStandard.at: Wenn man sich mit Ihnen beschäftigt, fällt auf, dass sich vier von fünf geposteten Userkommentaren auf nytimes.com und CNN überraschenderweise positiv über sie äussern, sie gar als "Held" bezeichnen. Andererseits trifft ja im juristischen Sinne der Begriff "Betrüger" zu. Wie sehen sie sich selbst, als Held oder Betrüger?

Thomas Salme: Ich versichere Ihnen, dass ich mich sicherlich nicht als Held sehe, Helden in meinem Berufsfeld sind natürlich Piloten, die trotz widrigster Umstände oder Unfälle an Bord die Nerven bewahren, das Ruder nicht aus der Hand geben und die Passagiere dadurch sicher und unbeschadet ans Ziel bringen. Der Staatsanwalt hielt mir auch zugute, dass ich in einer der brenzligsten Situationen, die in der Luftfahrt möglich sind, nämlich der Ausfall eines Triebwerks, mein Menschenmöglichstes getan habe und den Vogel sicher landen konnte. Die meisten Passagiere haben es gar nicht mitbekommen.

Gut, ich hab eine Lizenz gefälscht und somit eine Airline belogen, doch meine Fähigkeiten sprechen für sich, an den regelmässigen Simulatorentests war ich immer einer der drei besten der jeweiligen Airline, darum fiel das mit der Lizenz gar nicht auf – vielleicht kümmerte es auch niemanden, wer weiß? Die Passagiere jedenfalls habe ich niemals betrogen, kein einziger von ihnen wurde jemals durch mich gefährdet. Ich war immer in absoluter Bestverfassung, trank beispielsweise niemals auch nur einen Schluck Alkohol 24 Stunden vor einem Flug. Das bedeutet, ich kann wirklich gut und sicher fliegen, c'est ca! Fliegen war schon mein Kindheitstraum.

derStandard.at: Dumm gefragt, aber warum haben Sie nicht einfach den fehlenden Pilotenschein gemacht?

Thomas Salme: Habe ich ja, allerdings konnte ich mir nur die Kleinflugzeuglizenz leisten, nach etlichen Nebenjobs, die Banken gaben mir auch keinen Kredit. Wissen Sie, ich komme aus einfachen Verhältnissen, meine Mutter starb als ich maturierte, danach arbeitete ich bei Blockbuster, als Soundtechniker und ging allen möglichen Jobs nach, um mir die sündteure Lizenz leisten zu können. Die muss man jedes Jahr wiederum erneuern, ich flog damals nur eine Cessna. Und meine Faszination für größere Flugzeuge wurde Tag für Tag größer. Der einzige Weg, als "Not-rich-kid" Pilot zu werden, besteht bis heute darin, zur schwedischen Luftwaffe zu gehen, was für mich aus Gewissensgründen nicht in Frage kam, da ich mich von allem Militärischen abgestoßen fühle.

Dann ließ mich ein Freund bei SAS (skandinavische Fluglinie, Anm.), wo ich als Soundtechniker arbeitete, nachts in den Simulatoren trainieren und irgendwann, ich war wirklich gut, realisierte ich, dass ich diesem Traum trotz offensichtlichen Talents nur aufgrund des blöden fehlenden Geldes nie nachgehen würde können. Dann sah ich, dass eine Airline Co-Piloten suchte und schwupps, ist es passiert. Aber wenn sie sich anschauen wie schlecht meine Fake-Lizenz ist, grenzte das an ein Wunder, dass ich zum Simulatorentest bei Air One eingeladen wurde und mit einem "Wow" den Job bekam. So konnte ich meinem Traum für 13 Jahre folgen. Ich bin wirklich ein guter Pilot, so bezeichnete mich ja auch die Staatsanwaltschaft, ich verinnerlichte es sogar so sehr, dass ich nicht einmal meinem Vater oder meiner mittlerweile Ex-Ehefrau von der gefälschten Lizenz erzählte. Natürlich war es schwierig, da immer dieses Geheimnis zwischen uns stand.

derStandard.at: Sie wurden von einem niederländischen Gericht zu einer Geldstrafe von 2000 Euro und einem Jahr Berufsverbot verurteilt und sind jetzt arbeitslos. Was tun Sie gerade und wie sehen Ihre Zukunftspläne aus?

Salme: Als ich verhaftet wurde, musste ich mehr als zwei Wochen im Gefängnis verbringen. Das kostet nach all den psychischen Anstrengungen Kraft, selbst den mir vom letzten verbliebenen Geld bezahlten "Erholungsurlaub" konnte ich nicht wahrnehmen, da mir der isländische Vulkan dazwischen kam. Tja, mit dem Fliegen hatte ich kein gutes Jahr, zumindest am Papier.

Momentan schreibe ich meine Erfahrungen nieder und arbeite an meiner Autobiographie, die ich im Herbst publizieren möchte. Mein Problem besteht weiterhin, dass ich auch nach dem einjährigen Flugverbot ohne gültige Passagierflugzeuglizenz meinem Beruf, oder sagen wir besser meiner Berufung, nicht nachgehen werden kann. Vielleicht heuert mich ja ein Abenteurer wie Richard Branson für seine Fluglinie an, doch das glaube ich nicht, die Pilotenlizenz nachzumachen kommt für mich allein aus finanziellen Gründen nicht in Frage, da ich es mir schlichtweg immer noch nicht leisten kann. Vielleicht wird ja die Fotographie, neben dem Fliegen mein zweiter Kindheitstraum, mein neues Standbein, oder brauche ich dafür auch eine Lizenz?

derStandard.at: Stichwort Vulkan Eyjafjallajökull: Wie sehen Sie als nunmehr "außenstehender" Pilot die europäischen Flugverbote, die ja in Expertenkreisen in der umgesetzten Form zum Teil heftig kritisiert wurden? Übertrieben oder angemessen?

Salme: Absolut korrekt, ich finde es wirklich gut, man muss vorsichtig sein, man darf besonders im Luftgeschäft niemals Menschenleben riskieren! Schauen sie sich mal um wie viele Flugzeuge gerade in den letzten Wochen wieder aus bisher ungeklärten Gründen tragischerweise abgestürzt sind. Auf die Piloten wird heutzutage ein Stress ausgeübt, wie es ihn noch nie gab und meine persönliche Meinung ist, dass diese heutzutage wiederum keine Eier mehr haben, einfach Nein zu sagen, wenn "Was-weiß-ich-wer" ins Cockpit stürmt!

derStandard.at: Ihre Geschichte verhilft nun wahrscheinlich den europäischen Passagierfluglizenzen zu einer fälschungssicheren Standardisierung der Ausweise durch die Advisory Group of National Authorities (AGNA), Karrieren wie die Ihre werden nicht mehr möglich sein. Was, glauben Sie, sollte sich noch ändern?

Thomas Salme: Ganz einfach: wer Talent hat, soll gefördert werden, nicht wer Geld hat. Es gibt bestimmt genügend Menschen aus den unteren Einkommensschichten mit Talent und Begeisterung für die Luftfahrt, die niemals die Chance bekommen werden, auf zivilem Weg Pilot zu werden. Das ist schlicht ungerecht. Das wird verdeutlicht durch das überwiegend positiven Feedback zu meiner Person, ob privat oder öffentlich.

Nach meiner Verhaftung im März und dem anschließenden Prozess im April bekam ich 1600 Freundschaftsanfragen allein auf Facebook und es gibt eine Gruppe über mich mit mehreren hundert "Fans". Das sollte doch zeigen, dass ich nicht alleine dastehe mit der Forderung: Wer Talent, Verantwortungsbewusstsein und Nerven hat soll auch Pilot werden können. Für eine Airline, nicht für eine Airforce. Punkt. Aus. (Stefan Draschan, derStandard.at, 1.6.2010)