Addis Abeba/Nairobi - Äthiopiens Opposition hat der Regierung von Premier Meles Zenawi am Mittwoch vorgeworfen, mit willkürlichen Verhaftungen und Einschüchterungen Proteste gegen das am Vortag offiziell verkündete Wahlergebnis zu verhindern. "Zwei unserer Mitglieder wurden seit Sonntag von Sicherheitskräften erschossen", erklärte Merera Gudina, Chef des Oromo-Volkskongresses und zugleich des Oppositionsbündnisses Medrek (Forum). Mehr als einhundert Medrek-Mitglieder seien festgenommen worden. "Die Regierung greift durch, um jeden Widerstand im Keim zu ersticken." Gudina fordert eine Wiederholung der Wahl. Äthiopiens Regierung weist alle Vorwürfe von sich.
Dabei erscheint es als nahezu unmöglich, dass Zenawis seit 1991 regierende Äthiopische Revolutionäre Demokratische Volksfront (EPRDF) fast alle Sitze im Parlament errungen hat, wie es die Wahlkommission behauptet. Selbst in Oppositionshochburgen wie der Hauptstadt Addis Abeba oder dem Bundesstaat Oromia beansprucht die EPRDF einen Erdrutschsieg für sich.
"Die Entscheidung des Volkes kann nicht durch ausländische Mächte außer Kraft gesetzt werden" , warnte Zenawi am Dienstagabend seine Kritiker bei einer Kundgebung im Zentrum von Addis Abeba, die die Regierungspartei selbst organisiert hatte.
Wahlbeobachter hatten zuvor erstaunlich kritische Töne angeschlagen. "Alle waren gleich, aber manche waren gleicher als andere" , erklärte zynisch der Leiter der EU-Wahlbeobachtermission, Thijs Berman. Die Opposition sei in weiten Teilen des Landes klar benachteiligt worden.
Selbst die USA, die Zenawi wegen seiner Unterstützung im "Kampf gegen den Terror" in Somalia verpflichtet sind, nannten die Wahlen vom Sonntag unzureichend. "Wir haben mit Bedauern feststellen müssen, dass die Abstimmung nicht internationalen Standards entsprochen hat" , erklärte der für Afrika zuständige Vize-Außenminister Johnnie Carson. (Marc Engelhardt/DER STANDARD, Printausgabe, 27.5.2010)