Iharkút im Herzen des Bakony-Gebirges nördlich des berühmten Balaton-Sees wäre normalerweise ein völlig bedeutungsloser Ort: Ein winziger Weiler und eine aufgegebene Bauxitmine am Rande eines Waldgebiets, sonst nichts - außer ebendiese Knochenfunde. Auf dem Minengelände entdeckte im Jahr 2000 ein Forscherteam kreidezeitliche Fossilien, darunter auch die Überreste einiger Saurier. "Dies ist die erste Fundstelle für mesozoische Tierarten in Ungarn, und sie ist sehr reichhaltig" , schwärmt der Paläontologe Attila Osi vom Naturhistorischen Museum in Budapest. "Wir haben noch mindestens 5000 Quadratmeter zu untersuchen. Das ist genug für das nächste halbe Jahrhundert."

Vor etwa 85 Millionen Jahren sah das Gebiet ein wenig anders aus. Damals erstreckte sich hier eine Schwemmebene, sumpfiges Gelände mit vielen Seen und sich verzweigenden Flussarmen. "Wir vergleichen es meistens mit dem heutigen Okawango-Delta" , sagt Osi.

In dieser Gegend wimmelte es offensichtlich vor Leben, denn der Wissenschafter und seine Kollegen fanden in den vergangenen Jahren große Mengen an Fossilien, unter anderem von Fischen, Krokodilen, Schildkröten, Flugsauriern und urzeitlichen Vögeln. Das Klima dürfte subtropisch und feucht gewesen sein. Das Wichtigste aber: Die Ebene lag auf einer Insel, die Teil eines ausgedehnten Archipels im prähistorischen Tethys-Meer war. Weit vom Festland entfernt.

Ähnlichkeit mit Indonesien

Die Insellage ist es, die eine Handvoll neuer Iharkút-Funde aus Expertensicht so bedeutend macht. Es handelt sich um Schädelfragmente einer bislang unbekannten Saurierspezies. Die Entdecker tauften sie auf den Namen Ajkaceratops kozmai. In Bezug auf ihren Knochenbau weist diese Art große Ähnlichkeit mit Dinosauriern der Gattungen Magnirostris und Bagaceratops, schnabeltragenden Pflanzenfressern aus Ostasien, auf. Eine detaillierte Beschreibung des vorliegenden Ajkaceratops-Materials wurde nun im Fachmagazin "Nature" veröffentlicht.

A. kozmai ist der erste eindeutig identifizierbare Saurier aus der Gruppe der Ceratopsia, der auf europäischem Gebiet lebte. Bis-her glaubten die meisten Experten, das Vorkommen dieser wuchtigen Herbivoren, zu denen auch der weitläufig bekannte Triceratops gehört, wäre auf die damaligen asiatisch-nordamerikanischen Landmassen begrenzt gewesen. Offensichtlich nicht. Die Vorfahren von Ajkaceratops seien von dort aus westwärts gewandert und hätten sich im Tethys-Archipel, welches wohl Ähnlichkeit mit dem heutigen Indonesien hatte, wahrscheinlich von Insel zu Insel verbreitet, glaubt Attila Osi.

Insgesamt haben die Forscher in Iharkút die Schädelteile von mindestens vier verschiedenen A.-kozmai-Exemplaren geborgen. Die Tiere waren unterschiedlich groß, und vermutlich war nur eines von ihnen ausgewachsen. Seine Länge dürfte einen bis anderthalb Meter betragen haben - viel kleiner als die meisten asiatischen Verwandten. Damit käme ein weiterer faszinierender Aspekt ins Spiel: die sogenannte Inselregel. Diese Theorie besagt, dass Tierarten, die es in isolierte Lebensräume verschlägt, mit der Zeit zu Zwergwuchs neigen. Im Tethys-Archipel wäre demnach genau das passiert. Aktuelle Untersuchungen (etwa in der Online-Version von "Palaeogeography, Palaeoclimatology, Palaeocology") anderer kleinwüchsiger Saurierspezies aus Hateg in Westrumänien deuten in dieselbe Richtung. (Kurt de Swaaf/DER STANDARD, Printausgabe, 27. 5. 2010)