Man kann endlos diskutieren über die USA und ihr liberales Wirtschaftsmodell, die chronischen Defizite, soziale Ungerechtigkeit, die Krisenanfälligkeit, die regelmäßig andere Ökonomien ansteckt. Das System mag gefallen oder nicht: Fakt ist jedenfalls, dass die Vereinigten Staaten - immerhin Auslöser der größten Rezession seit der Großen Depression - wieder einmal das Tal der Tränen schneller hinter sich lassen als Europa.

Was sich bereits seit langem abzeichnet, wurde am Mittwoch von der Industriestaaten-Organisation OECD verdeutlicht: Die Wachstumsprognose für die USA wurde kräftig auf 3,2 Prozent im laufenden Jahr angehoben, während sich die Belebung der Weltkonjunktur in der Eurozone nur mit einem mageren Plus von 1,2 Prozent niederschlägt. Um es klar zu sagen: Angesichts des tiefen Absturzes in Europa ist der gern bemühte Ausdruck Aufschwung ziemlich verfehlt.

Mit diesem Tempo wird der alte Kontinent viele lange Jahre benötigen, um wieder das Vorkrisenniveau zu erreichen. Mit der Folge weiter steigender Arbeitslosigkeit und mangels konjunktureller Hilfestellung noch größerer Sparpakete, die wiederum eine Bremsspur hinterlassen werden. Selbst das chronisch schwächelnde Japan zieht an der EU vorbei, nicht zuletzt, weil der dortige Finanzsektor das Platzen der Immobilienblase und die folgende Kreditklemme weit weniger stark zu spüren bekam.

Doch worin liegen die Gründe für dieses markante Auseinanderdriften? Ökonomen rätseln, zumal die strukturellen Schwächen der USA - insbesondere das Zwillingsdefizit in Handels- und Budgetbilanz - ähnliche Ausmaße wie der von den Finanzmärkten abgestrafte Club Med erreichen. Washington könnte sich glücklich schätzen, würde es die Werte der krisengebeutelten Eurozone erreichen. Doch so plakativ derartige Vergleiche sein mögen, so irrelevant sind sie. An der größten Wirtschaftsnation der Welt, noch dazu ausgestattet mit der globalen Leitwährung, kommt niemand vorbei, während die Währungsunion äußerst verwundbar ist.

Zudem hatten die USA schlicht eine Portion Glück: Der Einbruch des Welthandels hat das exportstarke Europa am falschen Fuß erwischt, hingegen spielen die Ausfuhren in den Vereinigten Staaten eine untergeordnete Rolle. Dafür gehen die Exporte in jene Märkte, die jetzt boomen, insbesondere nach China. Die Unionsmitglieder handeln dagegen vorrangig mit sich selbst, was in der Schwächephase absolut keine Hilfe darstellt.

Und dann wäre da noch die höhere Flexibilität auf mehreren Ebenen: Das US-Prinzip des "Hire and fire" mag verpönt sein, doch der Arbeitskräfteabbau im Abschwung entlastet die Unternehmen und führt zu raschen Wiedereinstellungen in der Aufschwungphase. Europa hielt sich dabei zurück, was gesellschaftlich positiv ist, aber die Produktivität stark belastet. Die Kurzarbeit wirkt lange nach.

Wie das Personal werden auch die Budgetdefizite in den USA traditionell schneller abgebaut als in der Union, was wiederum die Einnahmen sprudeln lässt. Einsparungen sind zwar auch für Washington unabdingbar, doch eine Sparwelle europäischen Ausmaßes ist nicht zu erwarten. Womit der Verursacher der Krise auch dieses Kapitel rascher schließen wird als die EU. Es mag ungerecht erscheinen, doch während es für Amerika schon wieder Träume geben kann, zerplatzen Europas Wünsche wie Seifenblasen. (Andreas Schnauder, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 27.5.2010)