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Der Traum heißt "Top Kill" und soll das Ölleck am Meeresgrund verschließen. Die Wirklichkeit verzichtet auf die dramatische Präposition "top": Das Öl selbst ist der Killer. Die Strände sind tot

Foto: APA/DANIEL BELTRA

"Top Kill" nennt BP jene Methode, mit der das Bohrloch am Meeresgrund endlich gestopft werden soll

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Die Frage geht an Jonathan. "Wie reagieren wir auf eine weitere Eskalation in den Sümpfen?" Gemeint ist ein Szenario, bei dem das klebrige Öl immer weiter hineinschwappt in die Feuchtgebiete des Mississippi-Deltas. Ein Umweltexperte namens Richard soll ein Konzept für den Fall skizzieren, dass teerige Klumpen auch die Küste vor Houston verschmutzen. "Haben wir einen Plan für Texas?"

Die große Frage

Sauber ausgedruckt, in knappen Stichpunkten formuliert, hängen die Aufträge am schwarzen Brett des Krisenstabs in Houma (Louisiana). Normalerweise schult British Petroleum (BP) in dem hellen Glasbau Arbeiter, die auf den Bohrplattformen im Golf von Mexiko Schicht schieben. Jetzt sitzen rund 600 Katastrophenexperten unter der grün-gelb-weißen Sonne, dem Firmenlogo, das eine strahlende Zukunft symbolisiert. Über dem Wust der A4-Blätter an den Magnettafeln stand am Mittwoch groß die Frage: Wird der "Top Kill" klappen?

Geht es schief, läuft womöglich noch mehr Öl aus

Die Rede ist von einer Methode, bei der das Ölleck auf dem Meeresboden von oben abgedichtet wird, mithilfe einer Schlammkanone. Tonnenweise wird schwere Flüssigkeit, im Jargon Bohrschlamm genannt, durch zwei Leitungen mit Druck nach unten gejagt. Zusätzlich soll ein Gemisch aus Reifengummi, alten Golfbällen und anderem Abfall Löcher in den Rohren verstopfen. Geht die Rechnung auf, stoppt der Druck der Dichtmasse das aufsteigende Öl. Geht es schief, läuft womöglich noch mehr Öl aus.

Start erst nach gründlicher Diagnose

Die Unbekannte ist, ob der beschädigte Abdichtkopf auf dem Meeresgrund den Versuch übersteht, ob der Druck nicht platzen lässt, was bislang noch halbwegs hielt. Seit Dienstag testen Unterseeroboter potenzielle Schwachstellen. Erst nach gründlicher Diagnose, sagte BP-Chef Tony Hayward Mittwochmittag, werde entschieden, wann die Schlammfontäne abgeschossen wird.

Starker öffentlicher Druck

Wie stark der öffentliche Druck auf BP lastet, ließ schon die zerknirschte Miene erkennen, mit der sich Hayward in Houston in ein Fernsehstudio setzte. "Wir haben die Leute im Stich gelassen", räumte er ein, nachdem er am Strand von Port Fourchon Öllachen inspiziert hatte. "Ich fühle mich furchtbar."

"Stopft endlich das verdammte Bohrloch!

Inzwischen musste der Brite auch Zugeständnisse machen: Ursprünglich sollte der "Top Kill" unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden. Hayward wollte die Unterseekamera, die filmt, wie das Öl-Gas-Gemisch aus dem größten Leck strömt, abschalten lassen. Das Weiße Haus legte ein Veto ein - nun bleibt es bei den Live-Bildern. Dass US-Präsidenten Barack Obama angesichts des Taktierens der Geduldsfaden reißt, dafür steht ein einziger Satz: "Stopft endlich das verdammte Bohrloch!", soll Obama in kleiner Runde gerufen haben.

Medien inszenieren den "Top Kill"

Die amerikanische Nation hing am Mittwoch so gespannt an den Bildschirmen wie bei den ersten Starts der Apollo-Raumschiffe. Schillerndes Personal trägt dazu bei, dass manche Medien den "Top Kill" inszenieren wie eine Hollywood-Premiere. Da ist Pat Campbell, Fachmann fürs Bohrlochstopfen, einst angeleitet vom legendären Ölbrandbekämpfer Paul "Red" Adair. Campbell versteht sich als dessen legitimer Erbe - und hofft auf jähen Ruhm. In einem TV-Interview ließ er keinen Zweifel an seinen Fähigkeiten aufkommen - auf skurrile Art: "Klar, wir kriegen das Loch dicht. Ich bin ja jetzt da. Ich berühre es, ich sage dem Loch, dass es tot ist. Das Loch weiß es nur noch nicht."

Wenig Optimismus

Weniger optimistisch klingt BP-Vize Kent Wells. Offenbar ist es sein Job, schon mal vorzubauen für den Fall, dass es schiefgeht und das klebrige Öl-Gas-Gemisch noch bis Juli oder sogar August in den Golf sprudelt. Die Erfolgschancen stünden bei fifty-fifty, verkündete Wells. Gewiss, man habe den "Top Kill" bereits ausprobiert, zum Beispiel 1991, nachdem die Armee Saddam Husseins die Ölfelder Kuwaits verwüstet hatte. Aber 1500 Meter tief im Wasser habe sich noch keiner an das Experiment gewagt. (Frank Herrmann aus Houma, DER STANDARD Printausgabe 27.5.2010)