Zur Autorin: Evemarie Wolkenstein ist Ärztin für Allgemeinmedizin und Präsidentin des Vereins für komplementäre Präventionsmedizin.

Institut Wolkenstein

Foto: Evemarie Wolkenstein

„ Vor circa 3 Wochen habe ich diskrete Schmerzen im rechten Arm verspürt, diese aber ignoriert, in der Hoffnung, dass sie von selbst wieder verschwinden", beschreibt der junge Mann, der vor mir sitzt, seine Beschwerden. Doch genau das Gegenteil ist der Fall. Die Schmerzen sind schlimmer geworden. 

Der Patient zeigt auf seinen rechten Ellenbogen und empfindet bereits bei sanftem Druck meinerseits, auf einen bestimmten Punkt, einen hellen Schmerz. Drehbewegungen im Unterarm sind ihm kaum noch möglich, das Tragen leichter Lasten ebenfalls nicht. 

„Ich denke so etwas nennt sich Tennisarm. Der Witz ist nur, dass in meinem Leben noch nie Tennis gespielt habe", erzählt der Mann. Seine Selbstdiagnose ist korrekt, allerdings bezeichne ich sein Erkrankungsbild als „Mausarm", da der Patient täglich acht Stunden Computerarbeit leistet.

Dickdarm und Lunge

Üblicherweise bedient der Mann die Computermaus folgendermaßen: Der Unterarm liegt nicht auf dem Schreibtisch auf, der Ellbogen ist permanent seitwärts angehoben. Diese unergonomische Armhaltung ist der Auslöser für seine Schmerzen. Die Muskel-Funktionskette, die er während seiner Tätigkeit überlastet, reicht vom Ellenbogen, über die Schulter zur Halswirbelsäule. Konkret spürt der Patient den Schmerz zwar nur in einem kleinen Areal am äußeren Ellenbogen, betroffen ist aber ein gesamter Meridian, der in der traditionell chinesischen Medizin als Dickdarm Meridian bezeichnet wird. 

Schulmedizinisch ist diese Schmerzproblematik als „repetitive strain injury syndrome" bekannt, ausgelöst durch chronische Muskelbe- beziehungsweise -überlastung. Lokale Anwendungen an der schmerzenden Stelle mit Salben oder Infiltrationen zeigen deshalb wenig bis keine Wirkung, da der Ort des Schmerzes nicht seine Ursache darstellt. Erst eine Entspannung der verkrampften Muskulatur im Bereich der Schulter- und Nackenregion lindert auch den Schmerz im Arm. 

Neben der Körperakupunktur an den beiden Meridianen Dickdarm und Lunge, die als Beuge- und Streckmuskulatur der gleichen Muskelfunktionskette in Beziehung stehen, werden auch schmerzhafte Stellen der Halsmuskulatur genadelt. Für Patienten immer wieder erstaunlich, dass sich schmerzhafte Punkte finden, obwohl sie selbst an diesen Körperregionen keine Schmerzen empfinden. Im Fachjargon wird dieses Bild auch „referred pain syndrome" genannt. Typisch dafür: Die Schmerzen zeigen sich an anderer Stelle als die Ursache. 

Schmerztherapie im Ohr

Als wirksame Schmerztherapie setze ich in diesem Fall Chinesische Ohrakupunktur ein. Der gesamte menschliche Körper spiegelt sich im Ohr wieder. Die genadelten Regionen entsprechen den Zonen des Armes, der Schulter und der Halswirbelsäule. Am menschlichen Ohr ist genau jene Stelle schmerzhaft, die mit der Region im Körper korrespondiert. Daher sind die Punkte auch leicht zu finden, da sie mehr schmerzen mehr als die benachbarten Zonen. Damit die gewünschte Wirkung einige Tage anhält, werden Permanentnadeln gesetzt, das sind winzige Stahlnadeln. Meist fallen diese nach einigen Tagen ab, oder aber man kann sie mit dem Finger selbst entfernen.

Zur Entspannung der gesamten Rückenmuskulatur empfehle ich dem Patienten Tuina oder Shiatsumassagen in Anspruch zu nehmen. Beide Methoden arbeiten mit der Idee der Meridiane. Auch regelmäßige sportliche Betätigung, kann die Neigung einen Mausarm zu entwickeln, verringern.

Der Patient hat seine ersten Dauernadeln nach einer Woche verloren. Die Schmerzen nahmen nach der Erstbehandlung wieder zu. Nach dreimaliger Wiederholung der Ohrakupunktur war der Patient jedoch wieder in der Lage alle Bewegungen schmerzfrei auszuführen. (derStandard,at, 27.5.2010)