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Das Dickdarmkrebs-Risiko von Patienten mit einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung ist bis zu 10-fach erhöht.

Foto: APA/Felix Burda Stiftung

Wien - Chronisch entzündliche Darmerkrankungen (CED) stehen im Mittelpunkt des Welttags für Verdauungsgesundheit am 29. Mai. Denn Morbus Crohn und Colitis ulcerosa sind alles andere als harmlos. Sie belasten in Österreich rund 80.000 Betroffene.

Beim 1. Österreichischen CED-Forum am 27. Mai in Wien berieten Experten, wie wachsende Zahl von CED-Patienen adäquat versorgt werden kann. "Wir haben erstmals Mediziner, Spitzenforscher, Gesundheitspolitiker, Betroffene und die Öffentlichkeit zum Thema CED zusammen gebracht", so Walter Reinisch von der Medizinischen Universität Wien und Leiter der CED-Arbeitsgruppe der Österreichischen Gesellschaft für Gastroenterologie und Hepatologie. "Ziel ist, uns besser zu vernetzen, die Versorgung Betroffener zu verbessern und das Tabu um CED durch konsequente Information zu brechen."

Die Zahl der Spitalsaufnahmen steigt jährlich um durchschnittlich 18 % - auch Kinder und Jugendliche trifft es immer häufiger (+10 %). Aufgrund mangelnder Infrastruktur sind allerdings nur 15 bis 20 % der Betroffenen in spezialisierter Behandlung.

Wenn Durchfall den Job kostet

"Es geht um schweren, chronischen Durchfall - in akuten Phasen bis 30 Mal am Tag", erläutert Rudolf Breitenberger, Präsident der Österreichischen Morbus Crohn - Colitis Ulcerosa Vereinigung (ÖMCCV) und selbst Morbus Crohn-Patient. Dazu kommen extremer Gewichtsverlust, Schlafmangel, Darmkrämpfe, schmerzhafte Fistel- und Abszessbildungen. Der Aktionsradius ist auf die unmittelbare Verfügbarkeit einer Toilette eingeschränkt. Oft folgt der Rückzug aus dem sozialen Leben, Partnerschaft und Sexualität. "Viele flüchten in die totale Isolation aus Angst, dass es auffällt. Es folgen oft Angststörungen, Depression und Jobverlust."

CED dürfen nicht mit Gastritis oder dem Reizdarmsyndrom verwechselt werden. Innerhalb von 10 Jahren nach der Diagnose müssen sich 70 % der PatientInnen mindestens einer Darmoperation unterziehen - bis hin zur chirurgischen Dickdarmentfernung und dem Einsetzen eines künstlichen Darmausgangs. Das Dickdarmkrebs-Risiko von CED-Patienten ist bis zu 10-fach erhöht.

Wirtschaftsfaktor "Durchfall"

"Der alarmierende Anstieg stellt auch den Staatshaushalt vor große Herausforderungen", meint Friedrich Renner, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Gastroenterologie und Hepatologie und Primar am Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern in Ried i.I. "CED werden meist zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr diagnostiziert. Sie belasten Österreich direkt und indirekt mit rund 2,7 Milliarden Euro im Jahr."

"Wenn die Politik nicht gegensteuert werden die CED-verursachten Kosten explodieren." Neben den direkten medizinischen und sozialpsychologischen Konsequenzen entstehen der Volkswirtschaft hohe Schäden durch Arbeitsausfälle, Arbeitsunfähigkeit und vermehrte soziale Beihilfeleistungen.

Immer mehr Kinder - akute Versorgungsmängel

Nicht nur die Neudiagnosen bei Erwachsenen steigen. "In der klinischen Praxis beobachten wir auch eine deutliche Zunahme von CED bei Jugendlichen und Kindern", sagt Reinisch. "Wir rechnen mit einer Zunahme von jährlich bis zu 3.000 erwachsenen und jugendlichen CED-Patienten."

Doch in Österreich existieren schon heute zu wenige spezialisierte Einrichtungen, um die aktuell rund 80.000 Betroffenen zu versorgen. Es fehlen Spezialisten und Ausbildungsangebote. Aufgrund der mangelnden Infrastruktur werden bis zu 90 % der Betroffenen im niedergelassenen Bereich betreut. Eine flächendeckende spezifische Versorgung, die erhebliches Spezialwissen voraussetzt, ist nicht gewährleistet.

Unterstützung aus den Ländern

Es gibt auch keine adäquaten Ressourcen für Forschung. Dabei hätte gerade Österreich die wissenschaftliche Expertise, um die weltweite CED-Forschung anzuführen. Reinisch: "Ohne landesweite Gesamtstrategie und realistische Ressourcen werden auch in Zukunft viele CED-Betroffene zu spät erfasst und nicht optimal behandelt werden. Die Kostenspirale wird weiter steigen."

Rückenwind erhält er von Landeshauptfrau Gabi Burgstaller aus Salzburg - die gemeinsam mit Landeshauptmann Erwin Pröll und Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely die Schirmherrschaft des CED-Forums übernommen hat: "Um den Betroffenen zu helfen, müssen konkrete politische Schritte gesetzt werden - wie wir das von Salzburg aus versuchen. Ich hoffe sehr, dass es gelingt, eine gemeinsame Strategie zu entwickeln - im Interesse und zum Wohl jener Menschen, die unsere Hilfe brauchen."

Rasche Diagnose - aussichtreiche Therapie

In Österreich erfolgt eine exakte Diagnose bei CED im Durchschnitt erst nach 3,1 Jahren - bei Morbus Crohn dauert es oft bis zu fünf Jahren. "Diesen Zeitraum müssen wir deutlich reduzieren", so Reinisch. "Je früher die Behandlung einsetzt, umso positiver kann der Krankheitsverlauf gesteuert werden. Zielgerichtete Therapien wie TNF-alpha-Blocker, die den Verlauf ganz entscheidend beeinflussen und auch für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen zur Verfügung stehen, können die Lebensqualität deutlich erhöhen, den Bedarf an Operationen senken und die Lebenserwartung verbessern."

Bei der Erstdiagnose soll seit Jänner 2010 ein weltweit einzigartiges, in Österreich entwickeltes online-Tool helfen: www.ced-check.at. Anhand von 10 gezielten Fragen zu Anamnese und Symptomatik wird dem erstversorgenden Arzt ermöglicht, CED frühzeitig in die engere Auswahl an Ursachen für Darmprobleme einzubeziehen und PatientInnen einer raschen weiteren Abklärung zuzuführen. Denn späte Diagnose und Behandlung rächen sich bei CED besonders.

"Menschen mit Verdacht auf CED gehören umgehend zum Spezialisten - extremer Durchfall ist so heikel wie Herz-Kreislauf-Symptome", sagt Renner. Störungen des Verdauungstraktes sind in Österreich die häufigste Ursache für stationäre Spitalsaufnahme. "Einen wesentlichen Anteil daran haben die CED. Die einzige Möglichkeit, diese Konsequenzen zu mildern bzw. zu verhindern ist die rasche, fachgerechte Diagnose und Therapie."

CED-Tabu brechen

Renner: "Wir arbeiten intensiv mit Allgemeinmedizinern und anderen Fächern zusammen, um den Blick dafür zu schärfen, wann eine CED-Erkrankung vorliegen könnte. Nur wenn das Zusammenspiel zwischen Hausarzt, Facharzt, Patient und auch dessen Umfeld funktioniert können wir Morbus Crohn und Colitis ulcerosa wirksam behandeln, ein Leben in guter Qualität ermöglichen und dem Staat Budget sparen helfen."

Sonja Wehsely: "Wir müssen das enorme Tabu rund um CED aufbrechen. Information hilft dabei - deshalb bin ich froh über aufklärende Initiativen wie das Österreichische CED-Forum in Wien. Sie helfen, das Schweigen zu durchbrechen." (red)