Bergwanderungen auf der Südseite des Schneebergs haftet immer noch ein Hauch von Abenteuer an, denn die Wege durch die engen, steilen Gräben sind nicht gerade einfach, sie verlangen Trittsicherheit und vor allem eine gute Kondition. Auch wen man nicht zum Gipfel der höchsten Erhebung Niederösterreichs steigt - was immerhin 1500 Höhenmeter ausmacht -, sondern nur bis zum südlichen Grafensteig, geht das ganz schön in die Knie. Eine grandiose alpine Landschaft, eine herrliche Flora und wunderschöne Ausblicke zur benachbarten Rax entschädigen reichlich für die Mühen.
Vor allem die Weichtalklamm wird in der Literatur in höchsten Tönen gelobt, obgleich auch Formulierungen wie "Halb Drachenschlund- halb Blumengrund" zu finden sind und früher am Weganfang eine Tafel stand, die einem das Genick brechenden Aufstieg ankündigte. Die Klamm wurde erstmals 1880 touristisch durchstiegen, wobei die Erstbegeher primitive Versicherungen vorfanden, die wahrscheinlich von Holzfällern stammten. Wer die Erstbegeher waren ist ungewiss, es gibt drei Versionen: Wratislav Fickeis, Theodor und August Mayer; Gustav Jahn und Otto Barth; Wratislav Fickeis und Franz Krischker.
Kaum weniger abwechslungsreich und romantisch ist der unmarkierte Anstieg durch den Stadelwandgraben. An dessen Fuß befindet sich eine Tafel mit den Notrufnummern. Diese "Abschreckung" ist allerdings nicht für die normalen Wanderer gedacht, sondern für die Kletterer, die in der Stadelwand beliebte Routen aller Schwierigkeitsgrade vorfinden. So mancher hat dort schon seine Fähigkeiten überschätzt.
Ganz ohne Kraxeln geht es auf dieser Runde nicht, in der Weichtalklamm sind einige Abbrüche mithilfe von Leitern und Ketten zu überwinden. Der neben der Kientaler Hütte liegende Turmstein ist auf einem luftigen, versicherten Klettersteig "bezwingbar" .
Für alpine Anfänger ist diese Tour nicht geeignet, zu achten ist besonders auf feste Schuhe mit Profilsohle, denn in der feuchten Klamm kann es sehr rutschig sein.
Die Route: Vom Weichtalhaus im Höllental wandert man etwa eine Viertelstunde die Straße flussabwärts, dann zweigt nach links der ungekennzeichnete, aber nicht zu verfehlende Weg durch den Stadelwandgraben ab. Diese steigt teilweise steil an und ist auch schottrig. Nach 2½ Stunden gelangt man zur "Märchenwiese" mit einem Forsthaus der Stadt Wien. Rote Punkte weisen nun zum südlichen Grafensteig, auf den man nach links einschwenkt und auf der roten Markierung im ständigen Bergauf und Bergab zur Kientaler Hütte wandert. Gehzeit ab Märchenwiese 1½ Stunden.
Rot markiert geht es hinab zum Jakobsbründl, dann beginnt die enge und sehr romantische Klamm, die knapp oberhalb des Weichtalhauses endet. Gehzeit ab Kientaler Hütte 2½ Stunden. (Bernd Orfer/DER STANDARD/Printausgabe/29.05.2010)