100 Kilogramm antiker Marmor: Vermeintliche Laokoon-Söhne entpuppten sich als Satyrngruppe, die, ehemals in der Sammlung Lorenzo de' Medicis beheimatet, schon Michelangelo bewunderte.

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Die über Jahre eingesammelten Steine kosmischen Ursprungs waren nicht die einzige Leidenschaft Wilhelm Aloys Maximilians. Dessen Sohn Hermann Friedrich Anton Maria fügte der Meteoriten-kollektion zwischendurch noch eine stattliche Sammlung an Käfern hinzu, die ihm auf seinen Geschäftsreisen quer durch die Monarchie über den Weg liefen, die der Erhaltung wegen später im Naturhistorischen Museum Wien eine neue Heimat fanden. Andere Objekte wurden nachfolgenden Generationen vererbt, darunter ein ob des plastischen Schmucks besonders prachtvoller Marmor-Torso. Irgendwann, im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, war dieser von Wilhelm Aloys Maximilian erworben worden.

Während des Zweiten Weltkriegs, erzählt sein Urenkel, wurde dieser im Zwischenraum zweier Doppeltüren versteckt. Ein Zufall oder die davor positionierte Möblage sicherten die weitere Existenz des 110 cm hohen antiken Fragments. Andere Wertgegenstände wie Porzellan oder Silber überstanden die Einquartierung russischer Besatzungssoldaten jedenfalls nicht.

Medici-Connection

Im Laufe der Jahre geriet die Figur in Vergessenheit - bis Hermann N. einen Anruf von seinem Neffen bekam, der mit Umbauarbeiten in der familieneigenen Villa beschäftigt war: Du, der Torso steht in meiner Tür. Das Ergebnis des einberufenen Familienrats: Keiner der fünf Erben hatte Interesse, vom Verkauf würden aber alle profitieren. In einem ersten Schritt kontaktierte man das Dorotheum in Wien. Zu alt, derlei versteigern wir nicht, so die Rückmeldung. Das zweite Date mit der Auktionsbranche verlief erfolgreicher, nicht nur angesichts des internationalen Netzwerkes an potenziellen Marktplätzen.

Ein Telefonat, ein Foto und eine Terminvereinbarung später hatte der mit einer römischen Rüstung verkleidete Waschbrettbauch, zu datieren in die erste Hälfte des 1. Jahrhunderts n. Chr., einige Bewunderer mehr. Nicht nur den Leiter des Antiken-Departments, sondern auch den zum Lokalaugenschein angereisten und in klassischer Archäologie versierten Mitarbeiter der Sotheby's-Niederlassung in Wien. Gegen Ende des Besichtigungstermins und bereits auf dem Weg Richtung Auto, erwähnt Hermann N. ganz beiläufig eine Figurengruppe. Um einen Abguss handle es sich, vermutlich Teile einer Laokoongruppe, der Schlange wegen, die ja entsprechend dem griechischen Mythos den gleichnamigen Priester und dessen Söhne erwürgt hatten.

Zurück in der Gründerzeitvilla, wird das etwa 100 Kilogramm schwere Ensemble hinter einer Kommode hervorgeschleppt. Spinnweben, darin haftende Insekten, Rußpartikel und Lurchformationen können das Fachauge nicht trüben. Erstens nicht Gips, sondern Marmor. Zweitens handelt es sich bei den Dargestellten um Satyrn, die wollüstigen griechischen Mischwesen von kräftiger, ungeschlachter Gestalt mit struppigem Haar, stumpfer, aufgeworfener Nase, zugespitzten Ohren und dem charakteristischen Ziegenschwänzchen am Rücken. In Begleitung des Torsos des Augustus, Tiberius oder Claudius werden die Söhne des Hermes und der Iphthime in weiterer Folge nach New York transportiert. Dort ist die traditionelle Auktion qualitätsvoller Antike für den 11. Juni 2010 anberaumt.

Allein der verstümmelte Brustkorb wird der Grazer Familie zwischen 800.000 und 1,2 Millionen bescheren. Die noch größere Überraschung fördern Recherchen des Antikenexperten zutage. Denn bei der ebenfalls in das 1.Jahrhundert. n. Chr. datierten Satyrngruppe, so kann Florent Heintz anhand vor kurzem veröffentlichter Fachliteratur nachweisen, handelt es sich um das gegenwärtig einzige und erstmals nachweisbare Exponat der legendären Antikensammlung Lorenzo de' Medicis, auch Il Magnifico genannt. Und die zuvor 350 Jahre lang verschollenen und nun in Graz entdeckten Satyrn hinterließen bereits in der Renaissance nachweisbar ihre Spuren, etwa in Michelangelo Buonarrotis um 1490 gefertigtem Relief Kampf der Kentauren (Casa Buonarroti / Florenz). 300.000 bis 500.000 Dollar sollten interessierte Kuratoren internationaler Museen zumindest an Budget bereithalten. (Olga Kronsteiner, ALBUM - DER STANDARD/Printausgabe, 29./30.05.2010)