Berlin - Menschen, die Opfer von sexuellem Missbrauch geworden sind, können sich in Deutschland ab sofort an eine von der Bundesregierung eingerichtete, kostenlose Telefon-Hotline wenden. Diese wurde am Freitag freigeschaltet, ebenso eine Homepage (www.beauftragte-missbrauch.de). "Wir haben das Thema jetzt auf der Tagesordnung, wir müssen auch dafür sorgen, dass es nicht einfach wieder verschwindet", sagte die ehemalige Familienministerin Christine Bergmann (SPD), die von der deutschen Regierung als unabhängige Beauftragte zur Aufarbeitung von Kindesmissbrauch eingesetzt worden ist.

In den vergangenen Wochen sind bei Bergmann bereits 500 schriftliche Berichte von Missbrauchsopfern eingegangen. "Es ist erschütternd, wenn man sieht, dass sich manche Menschen erst nach 50 Jahren offenbaren können", meint Bergmann. Eine erste Auswertung der Schreiben zeigte: Es melden sich deutlich mehr Männer als Frauen. Der Missbrauch, über den berichtet wird, fand nur bei wenigen innerhalb der Familie statt, sondern passierte beim überwiegenden Teil in einer katholischen Institution.

Bergmann rechnet mit großem Ansturm auf die Hotline. Bei der katholischen Kirche in Deutschland, die ebenfalls eine "Kummernummer" eingerichtet hat, gehen nach anfänglichem Ansturm (13.000 Anrufe in den ersten Tagen vor Ostern) immer noch wöchentlich 700 Anrufe ein.

Die Regierungs-Hotline wird von Sozialpädagogen, Psychologen und Medizinern besetzt. Sie selbst bieten am Telefon keine therapeutische oder rechtliche Beratung an, zeigen jedoch Möglichkeiten für Unterstützung auf. Zudem sollen die Experten die Fälle dokumentieren. Diese werden dann in die Arbeit des Runden Tischs einfließen, der Gesetzesänderungen prüft.

Orden deckte Übergriffe

Mittlerweile liegt auch der Abschlussbericht des deutschen Jesuitenordens vor. Demnach hat dieser über Jahrzehnte systematisch sexuelle und körperliche Gewalt gegen Schüler vertuscht. "Man hat dafür gesorgt, dass die verschoben wurden", sagte Ursula Raue, die von den Jesuiten eingesetzte Missbrauchsbeauftragte über die Versetzung von pädophilen Patres. Bei ihr haben sich 205 Opfer gemeldet. Jesuitenprovinzial Stefan Dartmann will "jedes Opfer persönlich um Entschuldigung bitten". (bau/DER STANDARD-Printausgabe, 29.5.2010)