Foto: Volkstheater

Wien - Hiob wird erlöst, im 32. Stock des Astor Hotels: "Es ist, als schwebte ich in den Himmel" , ruft der alte Jude Mendel Singer (Günter Franzmeier) aus. Er ist der moderne Hiob, die Hauptfigur in Joseph Roths gleichnamigem Roman, der zur Zeit in einer Bühnenfassung von Koen Tachelet am Volkstheater zu sehen ist.

Die biblische Geschichte ist bekannt: Gott nimmt Hiob Besitz, Kinder und Gesundheit, um seinen Glauben zu testen. Mendel hat einen härteren Start als sein alttestamentarischer Vorfahre: Er ist nicht wohlhabend, sondern ein bettelarmer Lehrer, er hat keine zehn, sondern bloß vier Kinder. Menuchim, der jüngste Sohn, leidet an Epilepsie, Jonas fällt in der russischen Armee, der in die USA desertierte Schemarjah in der amerikanischen. Um die schöne Mirjam vor den Kosaken zu bewahren, ziehen Mendel und seine Frau nach Amerika, Mirjam ist beglückt: "In Amerika gibt es noch mehr Männer." Doch sie erkrankt - wie Roths Frau - an Schizophrenie, die Mutter singt ein Wiegenlied für tote Kinder und stirbt.

Das Stück konzentriert sich ganz auf die Familie. Wie ein (Kinder-)Spiel im Spiel wirkt in der Inszenierung Michael Sturmingers die Szene zu Beginn, in der sich die Mendels ihre Pyjamas überziehen und auf sechs aneinander gereihten Matratzen gleichzeitig unter die Decken schlüpfen - ein letztes, unfreiwillig komisches Beisammensein.

Vor allem im ersten Teil bleiben die Figuren schemenhaft. Roths Text machte für die Adaption eine Schlankheitskur durch, die Lücken hinterlässt. Der historische Kontext fehlt: Die brenzlige Situation der Juden im Zarenreich, ihre Angst vor Pogromen und ihr Grauen vor den Kosaken liefert erst das Programmheft nach. So hängen auf der Bühne die Schicksale der Charaktere etwas in der Luft.

Umso gelungener ist der zweite Teil. Gleich bei seiner Ankunft in New York kollabiert Mendel. Die gescheiterte Assimilierung ist das zugänglichere Thema, für Publikum wie Ensemble. Dieses gibt, was es zu geben hat, und das reicht. Jahrzehnte der Familiengeschichte rollen auf der sparsam dekorierten Bühne Ralph Zegers vorbei, Mendels Hadern mit Gott und die Entfremdung zwischen ihm und seiner Frau haben nur am Rande Platz. Was bleibt, ist eine gehörige Portion persönlicher Schmerz und späte Selbstvorwürfe.

In dem dunklen, ab und zu von Sternen oder Hochhauslichtern erhellten Raum rinnt Mendel das Leben der Seinen durch die Finger, nur in kurzen Momenten wirkt er klarsichtig: "Die Welt hat nichts damit zu tun. Wir sind es selbst. Wir haben nicht genug geliebt."

Doch das geht in der Menge des Geschehens unter. Errettet wird er schließlich vom wiedergefundenen jüngsten Sohn, der auf wundersame Weise geheilt ist. In dessen Hotelzimmer bewundert Mendel Limonade-Reklame und wird endlich zum Lebensbejaher. Es ist gleichgültig, ob das Ende zynisch gemeint ist oder nicht, eine andere Erlösung hält die Welt nicht bereit. Seltsam versöhnt verlässt man die Vorstellung. (Susanne Fuchs, DER STANDARD/Printausgabe, 31.05.2010)