Ständig die neuesten Motorräder fahren zu dürfen, hat nur einen kleinen Nachteil. Man stumpft ab wie Billiglack auf Sizilien. Der dreißigste 125er-Roller drückt einem nicht unbedingt den Trenzter aus den Mundwinkeln, außer vielleicht, wenn er knutschrosa ist. Die zwanzigste Tausender, die zwar den Motor aus der Supersport hat – ehrlich – aber nur halb so viel Leistung in den Hinterpatschen drückt, lässt einen nimmer prüfen, ob auf den Kniepackeln eh noch genug Material ist, wenn man zum Flutschi-Markt um eine Milch fährt.

Foto: Gabriele Gluschitsch

Bitter ist das, wenn einem die superlative Euphorie so nach und nach ausgeht. Und manchmal sieht man nur ein Motorrad und weiß schon, wie emotionslos sich das jetzt fahren wird. Sagen wir so: Mit der Zeit ist man vor Überraschungen gefeit. Jetzt aber sehr böse Überraschung bei der Ténéré: Weil ich rechne mit einem Zylinder, 48 PS und einem Fahrwerk, das einem Badeschwamm auf Weichspüler gleicht.

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Bevor das Yamaha-Firmengelände in die Öffentlichkeit mündet, hat man als Fingerzeig noch ein paar Bremsschweller in den Boden geschraubt. Als ich den ersten, in den Rasten stehend und im ausgedrehten zweiten Gang nehme, merke ich schon, dass es da was hat. Nach 200 Metern bin ich vollends von den Socken. Das Radl taugt mir wie selten was.

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Erster Riesen-Vorteil bei mir, der bei vielen anderen aber zum No-Go-Kriterium wird: Die Ténéré hat eine Sitzhöhe von 895 Millimeter und ist das erste Motorrad, bei dem ich mit meinen rund 190 Zentimetern so am Boden stehe, dass ich nicht gleichzeitig auf den Fußrasten knie. Aber gut, wer jetzt nur einen Meter sechzig misst, wird Höhenangst bekommen.

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Die Buben von Yamaha wissen, was sich gehört und haben der Ténéré ein Akrapovic-Doppelrohr spendiert. Das mobilisiert locker weitere fünf PS aus dem 660 Kubikzentimeter großen Einzylinder, hat man mir versichert. Das kann ich jetzt so schnell nicht nachmessen, aber der Klang ist genial, und wenn die Ténéré das eine oder andere Mal durch den Auspuff schießt, rinnt mir eine Freudenträne über die Wange. Und obwohl daheim das Essen schon am Tisch steht, kann ich nicht anders: Ich muss ins Gemüse.

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Bei 206 fahrfertigen Kilos traut man der Ténéré ja gerade einmal zu, dass sie am Bankett nicht gleich zum Zaubern anfängt, wenn man sich beim Umdrehen am Rastplatz ein wenig im Radius verschätzt hat. Aber Irrtum: Trotz Straßen-Stoppelreifen und deutlich mehr Speck auf den Hüften als jede Hard-Enduro schafft die kleine Ténéré alle illegalen Auf- und Abfahrten, die ich in den Wiener Wiesen entdecke.

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Und da sind schon Sachen dabei, wo ich mir selber kaltschnäuzig ein "Traust dich nie" in den Helm rotzen musste. Mit ein wenig Schwung geht da einiges. Problematisch ist es nur, mit nassen Offroad-Stiefeln auf den Gummi-Rasten Halt zu finden.

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Nur, will man über einen steilen Hang runterfahren, bekommt man schnell einmal große Augen: Ich taste mich an die Kuppe, nehme all meinen Mut zusammen. Ich steh in den Rasten, lass das Vorderrad über die Kante, bring den Hintern nach achtern, und auf einmal haut mir die Sitzbank den Popsch aus und zwingt mich mit dem Körper viel zu weit vorne zu bleiben. Weil: Beim Soziusplatz steigt die Sitzbank so weit an, dass es da mit der richtigen Körperhaltung irgendwann Essig ist.

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Die Vorgänger-Ténéré bin ich leider nie gefahren, aber sie kann nicht handlicher gewesen sein. Ich kenne nur wenige Motorräder, die mich am Lenkeinschlag Kreise fahren lassen, ohne dass ich mit dem kurveninneren Haxen mittreten muss wie bei einem Skateboard. Mit der Ténéré ist das die leichteste Übung.

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Und damit steht auch fest, was sie ist, die Ténéré: ein Spielzeug für große Mädels und Buben, mit dem man wohl fast jeden Blödsinn machen kann. Vom Abstecher ins Grüne bei der Wochenend-Ausfahrt bis zur Bergstraßen-Sonderprüfung wird sie vorne mit dabei sein, weil sie sich so locker ums Eck werfen lässt und so handlich ist. Obwohl sie über 200 Kilo wiegt. Ziemliche Überraschung, hm? (Guido Gluschitsch/31.05.2010/derStandard.at)

Foto: Gabriele Gluschitsch

Technische Daten Yamaha Ténéré

Motor: 1-Zylinder, 4-Takt
Hubraum: 660 ccm
Leistung: 48 PS
Drehmoment: 58 Nm
Getriebe: 5-Gang
Sekundärantrieb: Kette
Tankinhalt: 23 Liter
Federweg vorne: 210 mm
Federweg hinten: 200 mm
Bremsen vorne: 298 mm Doppelscheibe
Bremsen hinten: 245 mm Scheibe
Reifen vorne: 90/90-21 M/C
Reifen hinten: 130/80-17 M/C
Sitzhöhe: 895 mm
Gewicht fahrfertig: 206 kg
Preis: 8.999 Euro

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