Vor 50 Jahren kam in den USA die erste "Pille" auf den Markt. Nur sechs Monate später, am 1. Januar 1961, führte Bayer Schering Pharma (damals Schering) seine erste Pille in Australien ein, ein paar Monate danach folgte Deutschland, dann Österreich.

Foto: Bayer Austria GmbH

Bild nicht mehr verfügbar.

Nach wie vor ist das orale Kontrazeptivum ein Verkaufsschlager: Vor allem für junge Anwenderinnen überwiegen die Vorteile die gesundheitlichen Risken.

Foto: APA/AP/Jerry Mosey

Sie hat schon 50 Jahre auf dem Buckel und beschert ihren Herstellern erfreuliche Bilanzen, dank einer immer zunehmenden Selbstverständlichkeit ihrer Nutzung: "Die Pille".

Bereits 1957 kam das Hormonpräparat als Medikament gegen starke Menstruationsbeschwerden in den USA auf den Markt. Mit der Zulassung als ausgewiesenes Verhütungsmittel zauderte die zuständige US-Behörde Food and Drug Administration (FDA) drei Jahre lang: Zu groß waren die Bedenken um die eventuellen Konsequenzen, den Frauen ein Mittel in die Hand zu geben, ihre Fruchtbarkeit zu kontrollieren. 

Gottgläubiges Argument

Dass sich die Interessen der Hersteller relativ zügig gegenüber moralischen Entwürfen konservativer Gesellschaftspolitik durchsetzten, ist letztlich gerade einem bibelfesten Vertreter der Gynäkologie zu verdanken: John Rock erläuterte in seiner Funktion als Koryphäe an der Universität Harvard, dass das Präparat - ohne Gefährung der Nutzerin - nur das veranlasse, was auch die Natur tut, nämlich den Eisprung von Zeit zu Zeit zu unterdrücken. Das überzeugte die FDA und sie ließ "die Pille" der Pharmafirma G. D. Searle namens Enovid am 9. Mai 1960 für den US-amerikanischen Markt zu. 1959 nahmen eine halbe Million Amerikanerinnen das Präparat, 1964 waren es bereits vier Millionen.

Keine Akzeptanz

1961 kam "die Pille" im deutsprachigen Raum an: Der bis heute auf dem Gebiet der hormonellen Verhütung marktführende Hersteller Schering bescherte den Frauen Anovlar ("Kein Eisprung"). In Deutschland aber zog die Diskussion um die moralischen Aspekte der "Pille" weitere und zeitlich intensivere Kreise: Die katholische Kirche konnte ein Verhütungsmittel nicht akzeptieren und so wurde Anovlar zu Anfang nur an verheiratete Frauen mit mehreren Kindern gegen "Frauenleiden" verschrieben, und nicht verheiratete Frauen hatten einfach keinen Sex zu haben. Diese Sicht unterstützen selbst dutzende Forscher im deutsprachigen Raum.

Verspätetes Verbot

1968 gipfelte die Antihaltung der Kirche gegenüber der "Pille" in der Enzyklika des damaligen Papstes Paul VI "Humanae vitae", in welcher er das Präparat verbot. Nur: Der Zeitgeist und die einfache Handhabe der "Pille" mit ihrem für viele Frauen befreienden Nutzen hatten das Verbot schon längst hinter sich gelassen. Frauenrechtlerin und Publizistin Alice Schwarzer beschrieb die "Pille" für sich und eine ganze Generation von Frauen als "ungeheure Befreiung": "Endlich konnten Frauen sich selbst vor ungewollten Schwangerschaften schützen."

Sicher ist sicher

50 Jahre später tun sie das millionenfach: Schätzungen belaufen sich auf über 100 Millionen Frauen, die derzeit weltweit die "Pille" nehmen; in Europa verlassen sich rund die Hälfte der empfängnisverhütenden Frauen auf das Präparat; in Österreich sowie Deutschland ist es das Verhütungsmittel Nummer eins. Laut Umfragen halten es die Nutzerinnen für das simpelst anzuwendende und in doppelter Hinsicht sicherste Verhütungsmittel: "Die Pille" hat den besten Pearl-Index-Wert (zwischen 0,1 und 0,9, was heißt, dass es bei einer bis neun von 1 000 Nutzerinnen zur Schwangerschaft kommt) und frau hat die Kontrolle über die sie primär betreffende etwaige Konsequenz von Sexualität, die Schwangerschaft.

Frauensache

In dieser Selbstbestimmung wurzelt nach Jahrzehnten Nutzungserfahrung über mehrere Generationen hinweg aber auch die immer wieder kehrende Kritik an der "Pille": Dass Frauen durch ihre Etablierung mit der alleinigen Verantwortung über Fortpflanzung zurück gelassen werden. Dass Verhütung tatsächlich Frauensache ist, zeigen Umfragen und Zahlen der letzten Jahre deutlich - und zunehmend auch vorallem "Mädchensache": Über ein Drittel der heute unter 25-Jährigen hat bereits mit 15 Jahren oder noch früher erstmals mit der "Pille" verhütet. 

Pille mit Zusatzwirkungen

Dabei geht es den Jungen nicht nur um den Schutz vor ungewollten Schwangerschaften: Die Pillengeneration von heute verspricht zusätzliche "Beauty"-Nutzen wie die Verschönerung von Haut und Haar, Milderung von Zyklusbeschwerden, die Regulierung der Anzahl der Perioden oder auch eine Gewichtskontrolle. Das früh eingeübte Nutzungsverhalten legen Frauen jedoch mit zunehmenden Alter wieder ab: Um die 30 wird Verhütung oft partnerschaftlich geregelt.

Pille, aber keine Lust

Dass mit dem Alter eine Veränderung der Verhütungspraxen feststellbar wird, liegt bei vielen Frauen an den gesundheitsbeeinträchtigenden Begleiterscheinungen von langjähriger Pilleneinnahme: So gilt es neben erhöhter Thrombosegefahr, Herzinfarkt- sowie Brustkrebsrisiko bei einzelnen Pillenpräparaten auch den bislang bagatellisierten Libidoverlust negativ zu vermerken. Eine jüngst im "New Scientist" veröffentlichte Studie der Boston University besagt gar, dass schon eine sechsmonatige Einnahme der "Pille" die sexuelle Lust von Frauen für den Rest ihres Lebens vermindern könne. Schuld daran sei die durch die "Pille" abnorm erhöhte Blutkonzentrationen des Eiweiß-Körpers SHBG (sex hormone binding globulin), der das männliche Sexualhormon Testosteron, das auch bei Frauen für sexuelle Angeregtheit sorgt, an sich bindet und so dessen Wirkung dauerhaft blockiert.

Alternativen

Andere ExpertInnen betonen in diesem Zusammenhang jedoch, dass nicht alle Präparate den Testosteron-Blutspiegel derart stark absenken und raten Betroffenen, auf eine der dutzenden anderen Pillen-Varianten umzusteigen - oder auf nicht hormonelle Kontrazeptiva: Die scheinen angesichts der Selbstverständlichkeit, mit der die jeweils junge Generation von Frauen die "Pille" zum Verhütungsmittel ihrer Wahl macht, in den Hintergrund gedrängt. Vor allem die Vermittlung des Gebrauchs von Kondomen oder Femidomen, die nach wie vor die einzigen Kontrazeptiva sind, die nicht ausschließlich vor Schwangerschaft schützen, wäre dabei eine aktuelle pädagogische Aufgabe: So selbstbestimmt, wie sich (junge) Frauen vor ungewollten Schwangerschaften bewahren, sollten sie sich doch auch vor gesundheitsgefährdenden Begleiterscheinungen von Sexualität schützen wollen. (bto, dieStandard.at/7.6.2010)