Piran: Die Seegrenze hier in der Bucht ist ungeklärt. Slowenien und Kroatien wollen sich auf ein Schiedsgericht verlassen.

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Die Slowenen stimmen am Sonntag über das Abkommen zur Lösung des Grenzstreits mit Kroatien ab und damit nicht nur über die EU-Ambitionen des Nachbarstaats, sondern des ganzen Balkans.

"Kroatien ist eine Besatzungsmacht!", ruft Stanislav Polanec (70) fröhlich, und die ganze Pensionistenrunde bricht in Gelächter aus. Der Ernst und das Pathos, mit dem die Politiker um die Seegrenze streiten, ist nicht nur den alten Herren, die sich zum Kaffee in einem Einkaufszentrum getroffen haben, ein bisschen peinlich. Aber egal ist ihnen das Thema auch nicht. "Da haben sie zum Beispiel einen Grenzposten einen Kilometer in slowenisches Territorium gebaut" , erinnert sich Polanec. "Das macht man nicht unter guten Nachbarn." So gehe dann am Ende Stück für Stück verloren, ereifert sich der alte Herr und hackt mit der Handkante Scheiben von einer imaginären Salami.

Am Sonntag sollen 1,7 Millionen Slowenen über ein Grenzabkommen mit dem Nachbarn Kroatien abstimmen. Nach der jüngsten Umfrage, die im Lande selbst schon nicht mehr veröffentlicht werden darf, wollen 34 Prozent dafür und 36,4 dagegen stimmen. Das Abkommen ist für lange Zeit die letzte Chance einer Einigung. Scheitert es, droht wieder wie im vorigen Jahr die Blockade der kroatischen EU-Beitrittsverhandlungen. Und damit stockt dann der ganze Zug der Osterweiterung.

Nichts von Fremden

Die drei rechten Oppositionsparteien setzen auf die Urangst der kleinen Nation vor dem Aufgeriebenwerden. "Von den Fremden wollen wir nichts, das Unsere geben wir nicht her" , ist die Parole der Demokratischen Partei (SDS) von Ex-Premier Janez Jansa. Die Parole stammt ausgerechnet vom jugoslawischen Staatschef Tito (1892-1980), der unter den Rechten sonst verfemt ist. Mit einer Broschüre mobilisieren die Demokraten noch konkretere Ängste: "Kärnten haben sie uns genommen, Triest und Görz – aber das Meer geben wir nicht her!" , steht fett im Titel – Reminiszenz an die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, als jugoslawische Soldaten für ein paar Monate auch in Österreich und Italien standen.

Bei Stanislav Polanec und seinen Freunden greift die Propaganda nicht; sie wollen alle der Empfehlung der Regierung folgen und mit Ja stimmen. "Für das Abkommen, für die Vernunft" , lautet deren Parole. Katarina Kocbek dagegen stimmt mit Nein. "Die slowenischen Politiker hätten sich lieber untereinander einigen sollen, statt die Frage an das Volk weiterzureichen" , sagt die 27-Jährige. Das glaubt auch Rok Dolenc (23), Jus-Student. In der Sache steht er voll hinter der Position seines Landes. Die Halbinsel Istrien südlich von Piran, heute Teil Kroatiens, sei eigentlich immer teils slowenisch, teils italienisch gewesen, aber nie kroatisch. Trotzdem stimmt er mit Ja. "Das Abkommen" , sagt Polanec, "ist gut."

Differenziert, nicht polarisiert sind die Ansichten an der Basis – nicht nur bei den Wählern, sogar unter den Politikern der zweiten Reihe. Gregor Pivec, SDS-Chef der zweitgrößten Stadt Maribor, hat ein ganzes Dossier vor sich liegen. Wie jeder, der Englisch kann, interpretiert er an dem Wort "junction" herum. Im englischen Originaltext des Abkommens wird Slowenien eine "junction" oder "Verbindung" zum offenen Meer versprochen. Was aber heißt das? "Es kann ein Korridor sein" , meint Pivec, "aber auch bloß ein Durchfahrtsrecht." Wegen der Unklarheit ist er gegen das Abkommen. "Wenn sie Korridor gemeint hätten, wie die Regierung behauptet, hätten sie ja Korridor hineinschreiben können." Sein Gegenspieler Bojan Horvat ist dagegen sicher, dass das Schiedsgericht Slowenien einen Weg ins offene Meer zusprechen wird. Er hat sich schlau gemacht: So sei es auch in Honduras gewesen.

Gegen Kroatien und die Kroaten ist von niemandem ein böses Wort zu hören. Klar sollten sie EU-Mitglied werden können, sagt auch SDS-Mann Pivec. "Schließlich haben viele Slowenen dort Eigentum." Die Wirtschaft sei zu 85 Prozent für das Abkommen, schätzt Horvat: Die meisten Firmen machen im Nachbarland die besten Geschäfte. Dass der sozialdemokratische Premier Borut Pahor im Vorjahr die Grenzfrage mit Kroatiens EU-Beitritt verknüpft hat, ist allen so peinlich wie der nationale Ton in der Debatte. Das Junktim sei "nicht ganz klug" gewesen, meint Horvat, immerhin Parteifreund des Premiers. Und auch Pivec würde die Blockade bei einem Nein nicht wieder aufnehmen wollen.

Aber was keiner will, kann trotzdem passieren. Pivecs Parteichef Jansa, der eine Chance auf die Rückeroberung der Macht wittert, hat sich ausweichend geäußert: Nicht Slowenien habe Kroatien blockiert, umgekehrt blockiere Kroatien seit 19 Jahren Sloweniens Zugang zum Meer. Premier Pahor kann bei einem Nein erst recht nicht klein beigeben. Er stünde vor den Scherben seiner Politik. Und bevor er das zugibt, meint Pivec, macht er eben weiter. (Norbert Mappes-Niediek aus Maribor/DER STANDARD, Printausgabe, 5.6.2010)