Das mit der Lesereise nach Den Haag wird dann leider nichts. Am 30. Juni hätte Joachim Gauck dort aus seinen Erinnerungen lesen sollen. Jetzt steht Wichtigeres an: die Wahl des neuen Bundespräsidenten. "Ich wundere mich, dass ich hier angekommen bin" , sagt der ehemalige Pastor und DDR-Bürgerrechtler, als ihn SPD und Grüne am Freitag als ihren gemeinsamen Kandidaten präsentieren.
Kapitänssohn Gauck stammt aus Rostock, wo er nach dem Theologiestudium Pfarrer wird. Ende der Achtzigerjahre wird seine Kirche immer mehr zur Basis für den Widerstand der Unzufriedenen in der DDR. In seiner Großfamilie gab es einige, die den Druck des Regimes nicht mehr aushielten und in den Westen flüchteten. Ein paar Mal hat Gauck auch daran gedacht, aber eigentlich war immer klar: "Ich bleibe, um etwas zu verändern."
1989, als die Demonstrationen immer mehr Zulauf erhalten, stellt sich Gauck nach den Gottesdiensten an deren Spitze. Die Stasi (Staatssicherheit) hat ihn unablässig im Visier, kann ihn aber nicht aus dem Verkehr ziehen, weil er bereits zu populär ist.
Im Wendejahr begründet Gauck die Bürgerbewegung Neues Forum mit und zieht nach der ersten freien Volkskammerwahl am 18. März 1990 als Abgeordneter in die DDR-Volkskammer ein. Schon damals leitet er den Sonderausschuss, der die Stasi abwickeln soll. Das bislang höchste Amt bekommt er nach der Wende. Gauck wird von 1990 bis 2000 Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR.
Bald wird seine Behörde nur noch "Gauck-Behörde" genannt. Eine "Apotheke gegen das Vergessen", nannte er sie einmal; nach wie vor kämpft er gegen Gräben zwischen Ost und West und für mehr Verständnis. Im Jänner, zum 70er gratulierte auch Kanzlerin Angela Merkel und würdigte ihn als "Versöhner, Einheitsstifter und Mahner". (bau/DER STANDARD, Printausgabe, 5.6.2010)