Zur Person
Paul Nolte (47) studierte Geschichtswissenschaft und Soziologie. Seit 2005 ist er Professor für Neuere Geschichte mit Schwerpunkt Zeitgeschichte an der Freien Universität Berlin (FU).

Foto: Standard/PKI Freie Universität Berlin

Bild nicht mehr verfügbar.

Zum Ehrenhäuptling "Offenes Wort" wurde Christian Wulff 2009 bei den Karl-May-Spielen Bad Segeberg ernannt. Als Präsident muss er sich den Titel noch verdienen.

Foto: APA/EPA/Hollemann

Die Nominierung von Christian Wulff (CDU) für die Bundespräsidentenwahl sei kein Aufbruchssignal von Schwarz-Gelb, sagt der deutsche Historiker Paul Nolte. Er hofft, dass die Regierung nun beim Sparpaket Impulse setzt. Mit ihm sprach Birgit Baumann.

STANDARD: Wäre Herr Wulff für Sie als Bundespräsident wählbar?

Nolte: Er ist natürlich wählbar, aber es ist keine besonders glanzvolle Wahl. Viele Kollegen und Intellektuelle an der Universität finden, dass Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) die interessantere Wahl wäre. Sie ist eine Persönlichkeit und hat inhaltliches Profil, das man bei Wulff nicht so sehen kann. Ihm wird nicht zu Unrecht eine gewisse inhaltliche Unschärfe vorgeworfen.

STANDARD: Was ist von ihm im höchsten Staatsamt zu erwarten?

Nolte: Er ist jemand, der gut integrieren kann und auch ein Politiker von sehr hoher Professionalität. Das war nach der Unberechenbarkeit von Horst Köhler aus Sicht der politischen Klasse ein wichtiges Kriterium. Man sollte jedem zubilligen, dass er sich im Amt entwickeln kann. Ich glaube, Wulff wird eher der Moderator und Mutmacher sein. Er wird die Deutschen nicht so sehr mit "Blut-Schweiß-und-Tränen-Reden" zu noch mehr Reformen auffordern.

STANDARD: Warum scheiterte Ministerin Ursula von der Leyen (CDU)? Nur weil sie eine Frau ist?

Nolte: Abgesehen davon, dass mancher sich zwei Frauen an der Spitze des Staates nicht vorstellen konnte, ist der konfessionelle Aspekt nicht zu vernachlässigen. In der politischen Kultur der alten Bundesrepublik war das typischere Muster: Das Regierungsamt ist katholisch, der Bundespräsident hat ein protestantisches Profil. Kanzlerin Angela Merkel jedoch ist selbst schon protestantisch. Da hatten viele das Gefühl, das Katholische komme zu kurz.

STANDARD: Hat der rot-grüne Gegenkandidat, Stasi-Aufklärer Joachim Gauck, Chancen?

Nolte: Es ist eine bemerkenswerte Kandidatur, aber er hat nicht wirklich Chancen aufgrund der Stimmenverteilung und Loyalitäten in der Bundesversammlung. Dennoch wird er auch in CDU-Kreisen Anhänger haben. Gauck hat die Fähigkeit zur parteiübergreifenden Integration, Wulff steht nur für das schwarz-gelbe Lager.

STANDARD: Wie stehen Merkel und ihre Regierung nun da?

Nolte: Die Lage hat sich durch Wulffs Nominierung nicht verbessert. Merkel brachte sich um die Chance einer Kabinettsumbildung. Diese hätte sie durch die Nominierung von Frau von der Leyen gehabt. Das Signal für den Aufbruch wurde versäumt. Und jetzt bröckelt es in der föderalen Peripherie. Drei für die CDU besonders wichtige Bundesländer, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, stehen vor Neuanfängen und somit auch vor Unberechenbarkeiten, was das Verhältnis zur Kanzlerin betrifft.

STANDARD: Am Wochenende geht die Regierung in Spar-Klausur. Welches Signal sollte von diesem Treffen ausgehen?

Nolte: Sie muss endlich Handlungsbereitschaft und Entschlossenheit zeigen. Viele Umfragen sagen, dass die Deutschen gar nicht so sehr für Steuererhöhungen sind. Sie wollen, dass die Haushalte nachhaltig konsolidiert werden. Das sollte die Regierung ermuntern, klare Signale zu setzen, auch wenn es schmerzhaft ist. (DER STANDARD, Printausgabe, 5.6.2010)