Wien - Der Weg des Gefangenen mit der Nummer 46664 zum Staatspräsidenten Südafrikas war lang. 27 Jahre hatte der Mann Zeit, sich auf der Internierten-Insel Robben Island auf seine historische Mission vorzubereiten. Dann kam der 11. November 1990, an dem Staatspräsident Frederik Willem de Klerk seine Freilassung anordnete und das Verbot des ANC aufhob. Das Apartheid-Regime war gefallen. Nelson Rolihlahla Mandela konnte sein Versöhnungswerk beginnen.

Für einen "Unruhestifter" - das bedeutet sein Name Rolihlahla auf Xhosa, der Sprache seines Stammes - machte er das so passabel, dass ihm und De Klerk 1993 der Friedensnobelpreis dafür verliehen wurde. Ein Jahr später wurde er nach den ersten freien und demokratischen Wahlen Präsident. Spätestens ab diesem Zeitpunkt war er jenes Denkmal für Zivilcourage, politische Integrität und demokratische Standfestigkeit geworden, als das er in vielen Büchern beschrieben und von Millionen Menschen verehrt wird.

Richard Stengel, der Anfang der 1990er-Jahre Mandelas Autobiografie verfasst hat, legte nun ein kleines Bändchen vor, in dem das Denkmal lebendig, widersprüchlich und auch menschlich wird. Er beschreibt in kleinen Episoden den Mann, der am 18. Juli 92 Jahre alt werden wird, als sehr zurückhaltenden Menschen. Als einen, der sich von seiner frühesten Kindheit an an Rollenbildern orientierte: am Xhosa-König, der ihn nach dem frühen Tod seines Vaters aufzog und von dem er ruhig und als Vorbild zu führen lernte. An den britischen Lehrern, die ihm Disziplin, Lerneifer und die Sprache des viktorianischen England beibrachten. An Walter Sisulu, seinem Mentor in Johannesburg, der ihn Pragmatismus und Realismus lehrte. Dazu kamen George Bush senior, Bill Clinton und Tony Blair, den er - bis zum Irakkrieg - dafür bewunderte, wie er Menschen überzeugte.

"Ubuntu" ist für Stengel Mandelas Leitprinzip. Der Gedanke nach einem alten Zulu-Sprichwort, dass der Mensch erst durch andere zum Menschen wird. Das Individuum, auch er, Mandela, sei nicht wichtig. Dennoch sei der Einzelne keinem zwingenden Schicksal untergeordnet, sondern nur Zielen, die er selber vorgibt.

Ganz getreu diesem Weltbild zog sich Mandela auch nach einer Amtszeit als Präsident zurück. Er wollte sich nicht wie all die anderen politischen Gefangenen, wie Robert Mugabe in Simbabwe etwa, an die Macht klammern. Er hatte in Südafrika den Kurs vorgegeben. Das war seine Mission. Nicht mehr und nicht weniger. (pra, DER STANDARD, 5./6. Juni 2010)