Die Niederlande sind ein europäischer Kleinstaat mit hohem Wohlstand - wie Österreich. Sie sind politisch eher konservativ - wie Österreich. Sie haben einen entwickelten Sozialstaat - wie Österreich. Sie haben einen hohen Anteil an "Ausländern", davon sehr viele Muslime - wie Österreich. Und sie haben einen Rechtspopulisten mit extremen antimuslimischen Ansichten, der ziemlich erfolgreich ist - wie Österreich.

Ein mehrtägiger Informationsbesuch knapp vor den Parlamentswahlen, die nächsten Mittwoch stattfinden, zeigt aber, dass es doch einige verblüffende (Mentalitäts-)Unterschiede gibt, die nachdenklich machen im Vergleich mit Österreich.

Bis vor kurzem war die politische Diskussion in den Niederlanden von der Furcht geprägt, dass der radikale Rechtspopulist Geert Wilders mit seiner Partei, die unter anderem für eine "Kopftuchsteuer" eintritt (die genaue Übersetzung seines Begriffs lautet abwertend "Schädelfetzensteuer"), enorm gewinnt. Manche Umfragen sahen ihn sogar schon als Nummer eins im Parteiengefüge.

Tatsächlich dürfte Wilders die Zahl seiner Parlamentssitze von neun auf 17 oder 18 (bei insgesamt 150 im niederländischen Parlament) verdoppeln. Aber er fällt in den Umfragen stark zurück, und er wird wohl bei der kommenden Koalitionsbildung (die Niederlande haben eine ziemlich zersplitterte Parteienlandschaft) keine Rolle spielen.

Der Fokus des Wahlkampfes hat sich nämlich dramatisch verschoben. Die Debatte wird nicht mehr vom Multi-Kulti-Islam-Ausländer-Kriminalitäts-Problem beherrscht, sondern von der Finanzkrise und ihren Auswirkungen.

Und das wiederum hat zur Folge, dass praktisch alle Parteien mehr oder minder für Einschnitte im Sozialstaat zur Bewältigung der Staatsschuldenkrise sind; und dass die Partei, die am konsequentesten für Budgetkürzungen eintritt, in den Umfragen enorm zugelegt hat und möglicherweise den Premierminister stellt.

Es ist die rechtsliberale VVD ("Volkspartei für Freiheit und Demokratie"), der auch die bekannte EU-Wettbewerbs-Kommissarin Nellie Kroes (und Geert Wilders!) entstammen. Der neue Parteichef Mark Rutte möchte 20 Milliarden Euro im Sozialbudget einsparen. Da kommen praktisch alle Parteien und vertreten eine Politik, die in Österreich als "neoliberal" gebrandmarkt würde (die Ausnahme sind typischerweise die Rechtspopulisten von Wilders und eine kleine linke Partei), und es schadet ihnen nicht.

Wie ist das zu erklären? Der Politologe Professor Kees Aarts, der eine große Wählerstudie erarbeitet hat: "Die Leute erkennen, dass alte soziale Rechte aufgegeben werden müssen, damit wir eine wettbewerbsfähige und wohlhabende Gesellschaft bleiben können."

Der Journalist und Universitätslektor Paul Scheffer, der vor zehn Jahren von der liberalen Seite her die "Multi-Kulti-Illusion" sprengte, sagt: "Natürlich sind die Probleme mit den Ausländern nicht verschwunden. Aber jeder hier weiß, dass es jetzt darum geht, einschneidende wirtschaftliche Reformen zu machen." Seltsame Niederländer. (Hans Rauscher, DER STANDARD, Printausgabe, 5./6.6.2010)