Grüne Selbstkritik: "Müssen endlich einen Entwicklungsschritt machen."

Grafik: DER STANDARD

Fünf Jahre Wahlen: Die Grünen stagnieren oder verlieren.

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Wien - Führende Grüne üben in STANDARD-Gesprächen nach der jüngsten Wahlniederlage im Burgenland Kritik am Kurs der Partei. Maria Vassilakou, Chefin der Wiener Grünen, sieht ein massives Mobilisierungsproblem. Sie will verstärkt auf das Umwelt-Thema setzen und mit den "älteren Herren" Alexander Van der Bellen und Christoph Chorherr in den Wiener Wahlkampf ziehen.

Peter Pilz, längstdienender Abgeordneter, kritisiert neben strategischen Fehlern und mangelnder Konfliktfähigkeit die Personalpolitik: "Wir haben zu wenige geeignete Leute für Schlüsselpositionen. Und es fehlen die Jungen."

Meissner-Blau: Schwere Versäumnisse

Freda Meissner-Blau, die erste Parteivorsitzende, urteilt: "Da ist kein Leben mehr drin." Für sie ist unbegreiflich, dass die Grünen etwa keinen Boykottaufruf gegen BP wegen der Ölpest vor der US-Küste starten und auch sonst die Umweltpolitik weitgehend außer Acht lassen. Den Grünen fehlten der Mut und die Themen. "Ich weiß nicht, wo der Funken ist" , sagt Meissner-Blau, "und ohne Funken geht's nicht." (red/DER STANDARD-Printausgabe, 7.6.2010)

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Eigentlich möchte Freda Meissner-Blau gar nichts sagen. Weil sie den Grünen nicht schaden möchte. Aber dann sagt sie doch etwas, weil ihr die Grünen eine Herzensangelegenheit sind und weil sie sich Sorgen macht. "Da ist kein Leben mehr drinnen" , sagt sie. Und wie die Grünen zu der Umweltkatastrophe im Golf von Mexiko schweigen können, das versteht sie nicht. "Warum gibt es da noch keinen Boykottaufruf gegen British Petrol? Mir sind solche Sachen einfach unbegreiflich."

Die Grünen kümmern sich um juridische Feinheiten, um Rauchverbote und gemeinsame Obsorge, alles wichtig, aber sie hätten den Schwung verloren, sie seien Bürokraten ihres eigenen Apparates.

"Wahnsinnig bedrückend"

"Die Regierung ist lahm" , sagt Meissner-Blau, "und die Grünen haben sich in der Lahmheit angepasst." Meissner-Blau, Galionsfigur der österreichischen Ökologiebewegung, war die erste Parteivorsitzende der Grünen. Jetzt kränkt sie sich. "Für mich ist das wahnsinnig bedrückend. Da gibt es so viele Themen. Ich würde brennen jetzt im Moment, um den Menschen zu sagen, was sich in der Welt tut und in was für einem Krater wir sitzen." Was tun die Grünen? Kampagnisieren ein Rauchverbot in Lokalen. Meissner-Blau: "Das reißt doch keinen Menschen vom Stuhl, da hat man doch nicht das Gefühl, das ist die Zukunft."

Meissner-Blau versichert noch einmal ihre prinzipielle Wertschätzung den Grünen gegenüber, und sie mag die Leute, "da sitzen wahnsinnig gute Leute drinnen" . Aber dann sagt sie: "Ich weiß nicht, wo der Funken ist. Und ohne Funken gehts nicht." Es fehlten der Mut und die Themen.

Pilz: Es fehlen geeignete Leute

"Wir sind in einer entscheidenden Phase" , sagt Peter Pilz, Gründungsmitglied der Grünen und deren längstdienender Abgeordneter - und immer noch einer der aktivsten. Das Ergebnis im Burgenland ist für ihn kein regionales Malheur, es beschreibt einen Zustand. Die Grünen seien eine Funktionärspartei geworden, "alle brauchen wieder ein Mandat" , und so werde auch Politik gemacht. Eine Politik der Pressekonferenzen und der Aussendungen.

"Wir haben zu viele Leute, die den grünen Kleingarten einfach umzäunen und verteidigen wollen. Stattdessen müssten wir aber überlegen, wie wir die nächste Stufe schaffen. Wir müssen endlich einen Entwicklungsschritt machen."

Abgesehen von strategischen Fehlern und der mangelnden Konfliktfähigkeit sieht Pilz in der Personalfrage ein entscheidendes Problem. "Wir haben zu wenig geeignete Leute für Schlüsselpositionen. Und es fehlen die Jungen."

Gefangen im grünen Funktionärsdasein

Von den 20 Abgeordneten, die die Grünen haben, sind die meisten in der Öffentlichkeit gänzlich unbekannt. Außer Eva Glawischnig, Peter Pilz und Alexander Van der Bellen kennt man vielleicht noch Karl Öllinger oder Werner Kogler. Der Rest hat es sich auf den Hinterbänken bequem gemacht.

Auch thematisch sind die Grünen dünn besetzt. Umweltpolitik hat zuletzt fast nicht mehr stattgefunden. Jetzt will sich Glawischnig selbst wieder des Themas annehmen. Was Pilz so aufregt: dass die Grünen die Gerechtigkeitsfrage links liegenlassen.

Die Grünen stagnieren oder verlieren. Bei den letzten Wahlen setzte es fast durchgehend Verluste, Zugewinne von 0,1 oder 0,2 Prozentpunkten wie in Oberösterreich und Vorarlberg werden von der Parteispitze trotzig wie heroische Triumphe gefeiert.

Grüne bleiben unter Möglichkeiten

Christoph Hofinger vom Meinungsforschungsinstitut Sora sieht noch keine Krise der Grünen. "Das wird von den Wahlen im Herbst abhängen." Was für ihn aber feststeht: "Die Grünen bleiben deutlich unter ihren Möglichkeiten." Auffallend ist auch für ihn, dass bei den Grünen zu wenig junge Leute nachkommen, dass kaum eine personelle Erneuerung stattfindet. "Im Parlament sitzt eine Generation, die schon lange dabei ist. Das Problem der Grünen ist, dass sie keine Teil- oder Vorfeldorganisationen haben, die Talente nach oben spült." Deshalb müsste sich die Parteispitze bewusst auf die Suche nach jungen Leuten und nach Quereinsteigern machen. Dem steht aber wieder die Listenerstellung über die Landesorganisationen im Weg: Bei den Delegierten sind Quereinsteiger nicht unbedingt erwünscht. Da zählt in erster Linie das eigene Mandat.

Der Vorwurf, dass die Grünen nur noch brav und angepasst seien, ist für Hofinger ungerecht. "Sie haben nur noch nicht das richtige Maß an Kantigkeit und Schärfe gefunden", sagt der Meinungsforscher. Um sich besser verkaufen und darstellen zu können, bräuchten die Grünen eine Story, die sie präzise erzählen müssten. Etwa warum man die Grünen in der Krise braucht. Das wüssten die Leute nicht. (Michael Völker/DER STANDARD-Printausgabe, 7.6.2010)