In der Serie "Poverty" spielt Ian Wallace mit dem dokumentarischen Charakter scheinbar historischer Fotos, um diesen gleichzeitig zu brechen.

Foto: Vancouver Art Gallery

Wien - "Stellen Sie sich am Vorderrand der Bühne eine große Mauer vor, die Sie vom Parterre trennt. Spielen Sie so, als würde der Vorhang nicht aufgezogen" , so beschrieb Denis Diderot 1758 den Begriff der "Vierten Wand" . Ziel war es, so zu schreiben und zu spielen, als sei der Zuschauer gar nicht anwesend. Mit dem Konzept des naturalistischen Theaters verband sich auch eine scharfe Absage an das so genannte A-part-Sprechen, bei dem eine Bühnenfigur sich direkt ans Publikum wandte, ohne dass andere handelnde Personen es mitbekamen - eine hörbare Form des inneren Monologs.

Die von Diderot angestrebte Undurchlässigkeit der Inszenierung wurde im 20. Jahrhundert heftig kritisiert. Bertolt Brecht etwa führte die Interaktion mit dem Publikum als einen seiner "Verfremdungseffekte" wieder ein. Vor allem aber wurde im Medium Film dem naturalistischen Ansinnen, sich dem "wirklichen" menschlichen Verhalten anzunähern, besser entsprochen. Trotz gegensätzlicher Ansätze sahen jedoch beide, Diderot als auch Brecht, die Bühne als einen distanzierenden Spiegel an, der dem Betrachter die "Wahrheit" der Welt offenbart.

Und darum geht es in der Ausstellung Hinter der vierten Wand auch nicht um Theaterkonzepte der Neuzeit, sondern um Versuche der Wirklichkeitsvermittlung;um die schwierige Annäherung an die Realität mit bildlichen - filmischen oder auch fotografischen - Mitteln. Es geht um die ungebrochene Bann- und Überzeugungskraft medialer Bilder, trotz des Wissens um die Möglichkeiten ihrer Manipulation und der vielfach visuellen Kongruenz von Fiktion und Realität - also um ein stets aktuelles Thema.

Die künstlerischen, häufig medienkritischen Arbeiten der Ausstellung können auch als abgeschlossene Bühnen betrachtet werden, die die Stilmittel von Diderot und Brecht, Naturalismus und V-Effekt, variieren: Zum Beispiel Omer Fasts Videoinstallation A Tank Translated: Auf vier Monitoren kommt die Besatzung eines israelischen Panzers zu Wort;dieSockelhöhe entspricht der Position des jeweiligen Soldaten im kriegerischen Kettenfahrzeug.

Vertrauen und Missbrauch

Der Künstler verflicht in dieser sehr unmittelbar zugänglichen Arbeit die vertrauensvolle, dokumentarische Form des Interviews mit mehreren - allerdings sehr offensichtlichen - Manipulationen: So tauscht Fast etwa Wörter aus der Untertitelung des hebräischen Originaltons aus oder löscht diese nach und nach. Ein Lückentext entsteht, der es vermag, ganz neue, mitunter auch absurde Zusammenhänge zu stiften.

Ganz bewusst zusammenhanglos ist hingegen das ungesendete TV-Material von Nachrichtenagenturen, das Aernout Mik in der Doppelprojektion Convergencies zeigt. Bilder von Festnahmen, gewalttätigen Konfrontationen von Polizei und Demonstranten oder auch nur von durch Landstriche ziehenden Menschen. Die Hintergründe bleiben diffus, weil der Kommentar, die Einordnung in einen konkreten Kontext fehlt.

In neue historische, aber auch narrative Kontexte eines Films betten Frédéric Moser und Philippe Schwinger Zitate von Lenin & Co: eine Übertragung, die kapitalistische Gegenwart an kommunistischer Utopie bricht. In einzelne, subjektive Perspektiven zerlegt Judy Radul in World Rehearsal Court die Verfahren am Internationalen Gerichtshof in Den Haag: Jeder Protagonist wird in den Reenactments von einer eigenen Kamera eingefangen und isoliert wiedergegeben; eine theatrale Inszenierung, die auch auf den Bühnencharakter gerichtlicher Autorität anspielt.

Die Schau zeigt rund ein Dutzend wertvoller Beiträge zu gesellschaftspolitisch relevanten Fragen, denen spezifische Inszenierungen Dichte verleihen. (Anne Katrin Feßler/DER STANDARD, Printausgabe, 7. 6. 2010)