Wenn Nicolas Sarkozy schweigt, will das etwas heißen. Vorbei die Zeiten, als der französische Präsident in Anwesenheit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel meinte, während sie nur nachdenke, handle er. Oder als er das deutsche Lohndrücken mitverantwortlich für die Griechenland-Krise nannte. Jetzt hält er sich zurück und unterstützt gar den deutschen Kandidaten Axel Weber als nächsten Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB).

Statt große Ideen zur Rettung der EU und der Welt hinauszuposaunen, spricht sich Sarkozy nun in aller Diskretion mit Berlin ab. Am Montagabend wird er bei einem Arbeitsdinner mit Merkel vor allem über die europäische Wirtschaftskooperation sprechen. Paris schlägt ein permanentes "Sekretariat" für die Euro-Gruppe vor. Von diesem Vorschlag ist bisher nicht viel mehr durchgesickert als dass Sarkozy - man höre und staune - den Vorsitz einmal nicht für sich selbst beanspruchen will.

Die neue Rücksichtnahme an der Seine hat ihren Grund nicht unbedingt im persönlichen Verhältnis Sarkozys zu Merkel. Im Gegenteil können die beiden Spitzen der deutsch-französischen Achse weniger miteinander denn je. Merkel schlage in Kabinettssitzungen antifranzösische Töne an und mache sich über den Gernegroß im Elysée lustig, schrieben Pariser Medien. Sarkozy ist erbost über das Zögern der Kanzlerin bei der Griechenland-Rettung und wirft ihr vor, die EU ins Verderben zu ziehen.

Doch öffentlich sagt er nichts. Denn in Paris ist er genauso in der Defensive wie Merkel in Berlin: Beide stehen nach verlorenen Regionalwahlen sehr schlecht da in der Publikumsgunst. Sarkozy braucht internationale Erfolge, sei das beim nächsten EU-Gipfel Mitte Juni oder bei den folgenden G-8- und G-20-Treffen. Allein kommt Frankreich dabei nicht weiter. Nur im Tandem mit Deutschland kann Sarkozy bei diesen Spitzenanlässen punkten.

Außerdem ist allen Beteiligten bewusst, dass ein offener Dissens oder gar Disput zwischen Paris und Berlin fatale Folgen für die Zukunft des Euro hätte. Die Finanzmärkte warten nur darauf. Sie wissen, dass Deutsche und Franzosen in der Euro-Politik längst nicht mehr am gleichen Strang, sondern am jeweils anderen Ende ziehen: Das von Paris seit Jahren gepriesene Konzept einer "Wirtschaftsregierung" in der Eurozone bleibt für Berlin tabu. Merkels Mitarbeiter haben noch heute den Eindruck, dass sie beim letzten Euro-Krisen-Gipfel in Brüssel von den gut vorbereiteten Pariser Diplomaten über den Tisch gezogen wurden.

Claire Demesmay von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik macht "gewaltige Spannungen" aus; Merkel und Sarkozy gingen sich derzeit "mächtig auf den Wecker" . Doch sie müssen sich schon deshalb schonen, um nicht den Euro zu schwächen.

Die französische Seite kann zwar, wie Premier François Fillon am Freitag unverblümt einräumte, einer schleichenden Euro-Abwertung auch gute Seiten für die heimische Exportwirtschaft abgewinnen. Aber Sarkozy spürt, dass der deutsche Kompromisswille ausgereizt ist: Wenn der Euro weiter an Wert verliert, droht nicht mehr nur eine Währungskrise, sondern ein Ausscheren Berlins. Und dann wäre auch die deutsch-französische Achse, auf die beide so angewiesen sind, hinfällig. (Stefan Brändle aus Paris/DER STANDARD, Printausgabe, 7.6.2010)