Die Forscher fanden in der 190 Meter tiefen Höhle 25 Zentimeter lange Kratzer im Kalksinter. Die vertikale Striemung lässt die Bewegungsrichtung erkennen.

Foto: L. Plan

Österreich ist in Bewegung: Was bisher angenommen wurde, wofür es allerding noch keinen wirklichen Nachweis gab, ist nun bewiesen. Geologen der Universität Wien konnten zeigen, dass die Ostalpen immer noch in Bewegung sind.

Die 400 Kilometer lange Störungszone - die sogenannte Salzach-Ennstal-Mariazell-Puchberg-Störung - zwischen Innsbruck und dem Wiener Becken ist tektonisch nach wie vor aktiv. Ausgangspunkt für diese bedeutsame Erkenntnis waren ein paar - für den Laien völlig unscheinbare - Kratzer im Kalksinter einer steirischen Höhle. Bernhard Grasemann und Kurt Decker vom Department für Geodynamik und Sedimentologie der Universität Wien sowie Lukas Plan vom Naturhistorischen Museum haben zusammen mit Kollegen aus Innsbruck und Bern in der Juni-Ausgabe der Zeitschrift Geology dazu publiziert.

Störungszone zwischen Innsbruck und Wien

Bei der SEMP-Störung handelt es sich um eine 400 Kilometer lange Störungszone von Innsbruck bis zum Wiener Becken. "Ich entdeckte vor ein paar Jahren in einer Höhle am Hochschwab in der Steiermark zufällig 25 Zentimeter lange Kratzer im Sinter", schildert der Geologe Lukas Plan, ehemaliger Dissertant von Bernhard Grasemann, die Ausgangssituation.

Um eine Erklärung für die zerkratzte Höhlenwand zu finden, führte Plan zusammen mit Kollegen vom Department für Geodynamik und Sedimentologie der Universität Wien sowie den Universitäten Innsbruck und Bern eine Reihe von Messungen und Untersuchungen durch. Die Ergebnisse der jahrelangen, logistisch sehr aufwändigen Forschungsarbeit liefern den ersten geologischen Feldbeweis für neotektonische Aktivität in den Ostalpen und belegen, dass es in Österreich nach wie vor zu größeren Erdbeben kommen kann.

"Unsere Beobachtungen haben ergeben, dass sich der gesamte Höhlengang um 25 Zentimeter bewegt haben muss", so Lukas Plan. Heruntergefallene Blöcke und Tropfsteine wurden durch die Bewegung der Störung mitgeschleift und haben auf diese Weise die Kratzer bewirkt. Aufgrund wiederholter Sinterablagerungen auf diesen Kratzern konnten die Forscher anhand geochronologischer Methoden den Zeitpunkt der tektonischen Bewegung eingrenzen.

Heftiges Erdbeben oder langsames Schieben

"Im Zeitraum zwischen 118.000 und 9.000 Jahren vor heute wurde die Höhle von einer tektonischen Störung, einer sogenannten Blattverschiebung zerschert", erklärt Bernhard Grasemann, Leiter des Departments für Geodynamik und Sedimentologie der Universität Wien: "Höchstwahrscheinlich war es ein Erdbeben der Stärke sechs, das zu dem Versatz von 25 Zentimetern geführt hat", fährt Lukas Plan fort. Ob es wirklich ein Erdbeben, ein langsames Schieben oder sogar eine Summe von Erdbeben war, werden die Geologen nun weiter untersuchen.

"Der Fund ist vor allem deshalb so interessant, weil es in Österreich keine direkten Zeugen für aktive Störungen an der Erdoberfläche gibt", betont Grasemann. Die letzte Eiszeit vor rund 115.000 bis 10.000 Jahren hat den Alpenkörper durch eine mächtige Eisbedeckung überformt und somit alle möglichen Spuren verwischt. Die Eiszeit ist auch der Grund, warum das Zeitintervall, in dem die tektonische Störung angesiedelt wird, so groß ist: "In 1.900 Metern Höhle war zu jener Zeit alles gefroren, weshalb sich auch kein Sinter ablagern konnte. Andernfalls könnten wir die Bewegung auf wenige 100 Jahre einengen", erklärt Lukas Plan.

1,6 Millimeter pro Jahr Richtung Osten

Vor 25 Millionen Jahren begann ein keilförmiger Block südlich dieser Störung Richtung Osten zu wandern. "Da die Störung in der Höhle parallel zu der SEMP-Störung liegt, können wir einerseits belegen, dass unsere Störung Teil der SEMP-Störung ist, und andererseits, dass hier immer noch tektonische Aktivität herrscht", sagt Plan. GPS-Messungen bestätigen dies: Der Keil - dessen Nordbegrenzung die SEMP-Störung darstellt - bewegt sich um 1,6 Millimeter pro Jahr Richtung Osten.

"Unter den Begriff 'aktive Tektonik' fallen alle Bewegungen oder Deformationen von Gestein, die die Menschheit direkt beeinflussen", definieren die beiden Geologen. Da oftmals tausende Jahre vergehen, bis sich solche Störungen wiederholen bzw. eine Störung Spannung aufbaut, die sich durch ein Erdbeben wieder entlädt, geht man dabei bis zu zwei Millionen Jahre zurück. "Die Störung am Hochschwab war also - geologisch gesehen - erst gestern", betont Grasemann abschließend. (red)