Zehn Prozent aller 15- bis 24-jährigen sind „frühe Bildungsabbrecher", so eine aktuelle Studie der Arbeiterkammer. Das sind jene 94.100 junge Menschen, die nach dem Ende der Schulpflicht entweder erst gar keine Lehre oder weiterführende Schule begonnen haben oder vorzeitig ohne Abschluss aus dem Bildungssystem ausgeschieden sind. „Es ist ein Skandal, dass Jugendliche ohne Hauptschulabschluss das Schulsystem verlassen", so die Leiterin der Abteilung Bildungspolitik der Arbeiterkammer (AK) in Wien, Gabriele Schmid.

10.000 Bildungsabbrecher pro Jahr

Jedes Jahr kommen 10.000 Jugendliche hinzu, die Zahl ist seit Jahren gleichbleibend, obwohl Österreich im Jahr 2000 auf EU-Ebene sich dazu verpflichtet hat, die Zahl um die Hälfte zu reduzieren. Rund die Hälfte der 15- bis 24-jährigen beginnt erst gar keine weiterführende Ausbildung, die andere Hälfte bricht eine Lehr- oder Schulausbildung ab, sagt Susanne Schöberl, Bildungsexpertin der AK.

Die Arbeiterkammer hat nun in zwei Studien die Gründe und Umstände des Ausscheidens aus dem Bildungssystem untersuchen lassen, die am Dienstag bei einer Pressekonferenz präsentiert wurden. Zum einen hat das Institut für höhere Studien (IHS) die Herkunft und die sozialen Folgen für die Jugendlichen anhand statistische Daten berrechnet, zum anderen wurden qualitativen Interviews mit ehemaligen Bildungsabbrechern von der Wirtschaftsuniversität durchgeführt.

Kinder mit Migrationshintergrund haben schlechte Chancen

Das Risiko das Bildungssystem ohne Schulabschluss zu verlassen ist je nach sozialer Herkunft unterschiedlich. Kinder niedrig Qualifizierter scheiden fünfmal so oft aus dem Schulsystem aus, als Kinder hoch Qualifizierter. Von 100 Kindern von Eltern mit höchstens einem Pflichtschulabschluss sind 20 "frühe BildungsabbrecherInnen". Im Vergleich: Nur vier Prozent der Kinder von Eltern mit mindestens Matura verlassen dass Schulsystem ohne Schulabschluss.

Kinder, der „2.Generation" und Kinder von Migranten sind deutlich stärker vom Bildungsabbruch betroffen. 20,8 Prozent der Jugendlichen der 2. Generation brechen ihre Ausbildung ab, was jedoch eine deutliche Verbesserung gegenüber 2004 ist, wo es noch 27,1 Prozent waren. Bei der Gruppe der Migranten sind es jedoch 30 Prozent, die ihre Ausbildung abbrechen (2004: 27,6 Prozent).

Stadt vor Land

Einen großen Unterschied gibt es zwischen Stadt und Land. Im ländlichen Raum - so die IHS-Studie - haben 7,9 Prozent der untersuchten Gruppe keinen Bildungsabschluss, in der Stadt waren es 2008 13,6 Prozent.

Es sind gerade diese Jugendlichen ohne Ausbildung, die es später schwer am Arbeitsmarkt haben. Zwar haben rund 50 Prozent der Jugendlichen ohne Schulabschluss eine Beschäftigung, 21,7 Prozent sind jedoch arbeitslos, der Rest ist nicht erwerbsfähig und steht dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung. Die Alterskollegen mit Bildungsabschluss haben ungemein mehr Chancen am Arbeitsmarkt, bei ihnen beträgt die Arbeitslosenrate 3,9 Prozent.

Familie, Freunde und Schule ausschlaggebend

Laut der Studie der WU Wien, bei der Bildungsabbrecher befragt wurden, sind drei Faktoren ausschlaggebend dafür, dass Jugendliche die Schule abbrechen, so AK-Wien-Bildungsexpertin Susanne Schöberl. Den wichtigsten Einfluss haben "strukturelle Bedingungen": Die Befragten nannten den Umgang zwischen Schüler und Lehrer als wichtigsten Grund für ihren Misserfolg. Die AK sieht die Schule in der Pflicht: „Die Schule muss deutlich mehr Verantwortung für den Lernerfolg der Kinder übernehmen" Ein weiterer wichtiger Einflussfaktor ist das familiäre Umfeld: Das Verhältnis zu den Eltern, der Erziehungsstil, der Wert von Bildung. Immer stärkere Auswirkungen hat auch der dritte Faktor, die "Peergroup" (Gruppe von Gleichaltrigen), in der sich die Jugendlichen bewegen. Wenn dort Schulschwänzen "in" sei, so Schöberl, gehen diese durch den Gruppenzwang auch nicht mehr in den Unterricht.

"Ort des Scheiterns"

„Jugendliche wissen, dass sie in einer Situation sind, in der sie nicht sein sollten", so Schöberl. Sitzenbleiben sei der Einsteig in die Ausstiegskarriere. Die Arbeiterkammer fordert deswegen die Abschaffung des Sitzenbleibens und die Einführung eines Kurssystems und die Möglichkeit sämtliche Abschlüsse bis zur Matura kostenlos nachzuholen. Weiters soll die Förderung in den Schulen verstärkt werden, Lernförderung und sozialpsychologische Betreuung ausgebaut werden. Die "Alte Schule" der Selektion der 10-jährigen sei der "Ort des Scheiterns", so die Arbeiterkammer und fordert mehr ganztägige Ausbildungsplätze. (seb, derStandard.at, 8.6.2010)