Matthias Karmasin.

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Bis zuletzt pokern die Parteien um das ORF-Gesetz - und damit um Einfluss.
Machtpolitik und Günstlingswirtschaft, zu beschreiben reicht nicht, findet Kommunikationswissenschafter Matthias Karmasin (Uni Klagenfurt). Medienpolitik wäre weit mehr. Sein Gastkommentar:

Medienpolitik steht unter Verdacht. Die Verdächtigen sind die politischen Akteure, die der Versuchung nicht widerstehen können, durch die Gestaltung der Rahmenordnung der Produktion von Öffentlichkeit auch die Möglichleiten des eigenen Operierens zu optimieren.
In kaum einem Feld der politischen Alltagsarbeit ist der Imperativ des „interesselosen Interesses" gesellschaftlich notwendiger und parteitaktisch schwieriger einzulösen.

Gemeinwohl so hohl

In kaum einem anderem Politikbereich klingen die Appelle an das Gemeinwohl so hohl und wirken- selbst wenn sie ernst gemeint sein sollten - als besonders plumper Versuch der Verschleierung von Partikulärinteressen. Auch in Österreich findet sich der Verdacht immer wieder bestätigt. Ob es nun die "Freundeskreise" im ORF, die klandestine „Presseförderung" durch Inserate, die Besetzung von Führungspositionen oder der saloppe Umgang mit Meinungs- und Medienfreiheit ist. Beispiele, die den Verdacht erhärten, finden sich viele. 

Günstlingswirtschaft beschreiben genügt nicht

Kein Wunder also, daß die gängige Narration über Medienpolitik in Österreich eine ist, die von parteipolitischer Einflußnahme, von Intervention und Günstlingswirtschaft handelt. Das soll und muß auch immer wieder öffentlich verhandelt und kritisiert werden. Aber das genügt nicht!

Diskussion über Sinn moderner Medienpolitik

Was bei dieser Narration zu kurz kommt ist, die Diskussion über Sinn, Ziel und Aufgabe einer modernen Medienpolitik. Was der Medienpolitik in Österreich fehlt ist- so meine ich- vor allem diese prinzipielle, strukturelle und normative Debatte.

So berechtigt die Klage über den Status quo auch sein mag, so wichtig der Versuch der Entbergung von Partikulärinteressen und so wichtig die Entlarvung der Sonntagsreden auch ist, es reicht nicht aus. Mit einem Buchtitel der Wissenschaftstheoretikerin Helga Nowotny gesprochen: Es ist so. Es könnte auch anders sein. Wie anders?

Man könnte darüber reden, daß Medienpolitik ein Feld ist, in dem über Zustand und Zukunft der Gesellschaft, über die Qualität von Öffentlichkeit und über die Möglichkeiten der demokratischen Willensbildung entschieden wird. Man könnte darüber reden, daß Medienentwicklung und Gesellschaftsentwicklung kaum mehr zu trennen sind und daß Medienpolitik eine Querschnittsmaterie ist, die. bildungs-, wirtschafts-, sozial- und standortpolitische Fragen berührt.

Demokratische Leistungsfähigkeit

Man könnte darüber reden, wie man durch geeignete Rahmenbedingungen ein Höchstmaß an demokratischer, publizistischer und ökonomischer Leistungsfähigkeit erreicht. Man könnte über einen präzisen Leistungsauftrag für private Anbieter mit Konzession reden. Man könnte über einen jährlichen Bericht zur Medienqualität reden. Man könnte über internationale Benchmarks und angemessene Begleitforschung reden.

Man könnte darüber reden, daß bei Medienpolitik die Leistungsfähigkeit und Zukunftsfähigkeit der Medien im Mittelpunkt stehen und nicht die Darstellungsoptimierung der politischen Akteure. Man könnte thematisieren, wie die politischen Akteure vor der systemimmanten Versuchung geschützt werden können via Medienpolitik in die Gestaltung der 4. Gewalt einzugreifen.

Reform der Medienförderung insgesamt

Man könnte (als Beispiel dafür) Instrumente der Selbstorganisation, der Selbstkontrolle und der Co- Regulierung gegen positivrechtliche Vorgaben, ordnungspolitische Eingriffe und strategische Werbeplatzierung kontrastieren. Man könnte klar machen, daß eine Reform des ORF auch eine Reform der Publizistik- und Presseförderung und eine Reform der Medienförderung insgesamt bedingt.

Man könnte über die öffentliche Finanzierung von medialer Qualität als öffentlichem Gut reden. Man könnte über Aus- und Weiterbildung, Qualitätssicherung und Professionalisierung reden. Man könnte über die gesellschaftliche Verantwortung (CSR) von Medienunternehmen reden. Man könnte über die Institutionalisierung von Qualitätsstandards, ethische Kodixes für Redaktion und Management, Ombudsleute reden. Themen gäbe es genug.

Appell an

Diese Debatte ist im Kern eine politische aber sie darf nicht von der Politik alleine geführt werden. Sich der anderen Seite der Medienpolitik zuzuwenden ist also nicht nur ein Appell an die Politik, sich fordern zu lassen und in der Medienpolitik Sachverstand walten zu lassen und das Paradigma der Ordnungspolitik in Richtung Media Governance zu verlassen. Es ist auch ein Appell an Journalisten und Journalistinnen sich aktiv an dieser Debatte zu beteiligen und auch utopischen und normativen Überlegungen Raum zu geben. Zuletzt ist es auch ein Appell an alle, die an der Qualität von Öffentlichkeit interessiert sind, also wohl zumindest an alle, die bis hierher gekommen sind. (Matthias Karmasin/derStandard.at, 8.6.2010)