Die Archäologin Irene Forstner-Müller forscht in Ägypten.

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Das Areal von Tell el-Daba im östlichen Nildelta in Ägypten beherbergte im 2. Jahrtausend vor Christus eine der größten Städte des Vorderen Orients. Im Gegensatz zu den populären Pyramiden erfahren Forscher auf dem 260 Hektar großen Grabungsgelände mehr über das Leben einfacher Leute sowie die Aufteilung und Funktion des urbanen Lebensraums.

Seit 1991 nimmt Irene Forstner-Müller vom Institut an den Grabungen des Österreichischen Archäologischen Instituts (ÖAI) in Tell el-Daba teil. 2002 wurde die Linzerin stellvertretende Leiterin der Zweigstelle in Kairo, und seit Herbst 2009 leitet sie die Grabungen, für die Österreich seit 1966 eine Konzession hält.

Ihre lange währende Faszination für Ägypten ist leicht zu argumentieren, können doch mithilfe der Funde in detektivischer Kleinarbeit "das Geschichtsbild und die Facetten des Faches immer noch verändert und bereichert werden". Tell el-Daba weist zudem Zeugnisse einer ägyptisch-asiatischen Mischkultur und damit früher Migrationsströme auf.

Als Forschungsinstitut ist das 1898 gegründete ÖAI, dessen größte und bekannteste Grabung sich in Ephesos befindet - auch budgetär - dem Wissenschaftsministerium unterstellt. Im Rahmen seiner Funktion als Office of the Scientific Council of the Austrian Embassy kooperiert es in Projekten regelmäßig mit dem Wissenschaftsfonds FWF, der Akademie der Wissenschaften und Instituten anderer Länder.

Die 42-jährige Archäologin plant ihre Grabungen stets für Frühjahr und Herbst. Im Sommer ist es einfach zu heiß dafür. Dazwischen sind immer wieder Notgrabungen wegen Bauarbeiten fällig. Das Handwerk - also Sichern, Reinigen, Vermessen, Dokumentieren und Präparieren - lernt man am besten "on the job", betont die Feldarchäologin.

Seit 2002 gibt Forstner-Müller ihre Kenntnisse aber auch in Kursen am Institut für Ägyptologie weiter, wo sie selbst studiert hat. Auch ihre Arbeitskluft hat sie über viele Jahre perfektioniert, denn die Grabungsleiterin schwingt selbstverständlich noch selbst Kelle und Pinsel. Um Betriebsblindheit zu vermeiden, klinkt sie sich immer wieder bei Grabungen im Libanon und in Oberägypten ein.
Worauf sie sich in ihrer neuen Funktion einlässt, war ihr nach mehr als 15 Jahren Praxis ziemlich klar. Auf dem Areal werkt ein eingespieltes Team aus erfahrenen einheimischen Kräften und begeisterten Objektkundlern.

Was Irene Forstner-Müller an der Tätigkeit reizt, ist die Autonomie eines reinen Forschungspostens. Längerfristig will die neue Leiterin - gemeinsam mit einer hochspezialisierten neuen Kollegin - den Fokus der Zweigstelle auch in Richtung Oberägypten (Assuan) und bis in den Sudan ausweiten.

Gemeinsam mit ihrem Mann, der an einem Schweizer archäologischen Institut arbeitet, hat sie ihren Lebensmittelpunkt gänzlich nach Kairo verlegt. Eine Notwendigkeit, wie sie sagt, "denn sonst bleibt man immer hin- und hergerissen". Wenn sie in Österreich zu Besuch ist, trifft sie Freunde und genießt die heimische Küche. Um (Essens-)Einladungen und die sprichwörtliche orientalische Gastfreundschaft dreht sich auch ihr gesellschaftliches Leben vor Ort. (Astrid Kuffner/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 9.6. 2010)