Der Beton bröckelt. Der Beton, der über Jahrzehnte das österreichische Schulsystem zugedeckt hat und allmählich an den Rand der Erstickungsgefahr bringt. Der Beton, der vor allem von der ÖVP und der Lehrergewerkschaft penibel bewacht wurde und wird, auf dass nur ja keine Risse entstehen und es gar zu einer grundlegenden Sanierung des Systems mit tiefgreifenden strukturellen Reformen kommen könnte.

Es bedurfte einer unverschreckten Wissenschaftsministerin, deren Wille zum wissenschaftlichen Diskurs stärker ist als jener zur parteipolitischen Autosuggestion, um den bis dato größten Riss in den schulpolitischen Beton zu hauen. Dass sie dabei nicht allein ist, wusste Beatrix Karl. Die Präsidenten von Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung sind quasi bildungspolitische Veteranen, die seit Jahren (ideologiebefreites) Programm um Programm vorlegen - nur die (wechselnden) Regierungen greifen nicht zu.

Das wird langsam vom Ärgernis zur Fahrlässigkeit. Denn der Unmut über den Zustand des Schulsystems hat eine sensible Grenze durchstoßen, die nicht unterschätzt werden darf. Er ist bei den besonders engagierten und motivierten Lehrern angekommen, die zunehmend frustriert sind vom schulpolitischen Stillstand. Wer ihren innerlichen Ausstieg aus der Schule riskiert, riskiert den Ausstieg ganzer Schülerkohorten aus dem Schulsystem. Politik, die versagt, verantwortet Schule, die versagt. (Lisa Nimmervoll, DER STANDARD, Printausgabe, 9.6.2010)