Die tiefen Zweifel an diesem Krieg - in dieser Kolumne mehrfach ausgesprochen - ergaben sich auch daraus, dass den Motiven und dem moralischen Verantwortungsbewusstsein der Leute, die ihn planten und führten, nicht zu trauen war und weiter nicht ist. Das zeigte sich erneut, als Verteidigungsminister Rumsfeld gefragt wurde, warum die US-Truppen nicht das Nationalmuseum in Bagdad vor (irakischen) Plünderern geschützt hätten. "Wir haben damit nichts zu tun. Es ist halt passiert", sagte Rumsfeld über eine Katastrophe für das kulturelle Erbe des Irak und der Welt. Zwei Panzer und 50 Mann hätten genügt, um das zu verhindern. Bewacht wurde aber nur das Erdölministerium. Die Schätze aus der ersten Hochkultur der Menschheit waren es nicht wert, obwohl das Pentagon von amerikanischen Archäologen vorgewarnt war (!). Damit wurde von den Eroberern (gegen die Genfer Konvention, die einen Besetzer zur Aufrechterhaltung der Ordnung verpflichtet) ein gewaltiger Teil des Nationalvermögens der Plünderung und Zerstörung überlassen.

Ein sehr übler Aspekt dieser Befreiung des Irak. Denn um eine Befreiung handelt es sich ja zweifelsfrei, was immer die Motive dieses Krieges gewesen sein mögen. Das macht es sehr schwer, diesen Krieg eindeutig zu bilanzieren. Das endgültige Urteil wird davon abhängen, was die USA aus diesem Sieg machen.

Das Leben unter Saddam war ein 25-jähriger Albtraum. Dass es ein Folter-und Mörderregime war, wusste man schon vorher (es schien nur bei manchen Kriegsgegnern ausgeblendet). Nun aber kommen die wahren Horrorberichte ans Tageslicht. Herzzerreißend ist der Anblick von Irakern, die die Briten und Amerikaner anflehen, unter den Folterkellern zu graben, weil da vielleicht noch Verhaftete in versteckten Verließen gefangen sein könnten.

Ein CNN-Chef berichtet, was er bisher verschweigen musste: wie die Familie einer irakischen CNN-Mitarbeiterin den Körper der Frau in Stücken (und das Hirn in einem Glas) zurückbekamen.

Die Befreiung von einem solchen bestialischen Regime muss doch alles andere aufwiegen? Im Sinne einer emotionslosen Rechnung sicherlich, aber die ist schwer möglich, wenn man die Bilder von den getöteten und verstümmelten Zivilisten vor Augen hat. Und auch hier ist das Verhalten des US-Militärs unverständlich: Weder wurden die Spitäler geschützt noch nennenswerte Anstrengungen zur Sicherung der Wasserversorgung unternommen. Die Zahl der irakischen Ziviltoten wird nie genau festzustellen sein. Sie zählt sicherlich nach Tausenden. Wobei es vermutlich keinen Krieg gab, bei dem mehr Sorg- falt darauf gelegt wurde, keine Unschuldigen zu treffen. Aber das nützt den zerfetzten Menschen nichts.

Doch Saddam ist gestürzt. Sein Regime hätte den Irakern nichts zu bieten gehabt als noch mehr Tod und Leid. War das den Preis wert? Die Frage ist so nicht zu beantworten - und vor allem jetzt noch nicht zu beantworten.

Alles hängt davon ab, was die Regierung Bush jetzt tut: Investiert sie jetzt wirklich Energie, Geld, Zeit, Goodwill in den Irak, um ihn zu einem Modell dafür zu machen, dass in einem arabischer Staat auch ein gerechtes, demokratisches System möglich ist - oder bleibt es bei einem Militärprotektorat, das bald de facto einer anderen Räuberbande übergeben wird? Geht es hier wirklich um den Umbau einer Region zu besseren Verhältnissen oder um den Ausbau der Vormachtstellung der USA? Kurzum, kommen die USA als echte Befreier oder als kleineres Übel?(DER STANDARD, Printausgabe, 15.4.2003)