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Das Internet hat in den Augen Pekings Arbeit und Lebensweise der Chinesen revolutioniert. Zum "Schutz" der Bürger müsse aber der Staat weiterhin das Recht auf Zensur haben.

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China hat das am schärfsten zensierte, aber auch am dynamischsten wachsende Internet der Welt, in dessen Infrastrukturausbau Peking zwischen 1997 und 2009 eine Summe von 4300 Mrd. Yuan (rund 500 Mrd. Euro) investiert hat. Diese Angaben macht erstmals das am Dienstag vorgestellte 31 Seiten umfassende Weißbuch des Staatsrates zur Entwicklung des Internets.

Motor des Wirtschaftswachstums

2009 hatten 384 Millionen Chinesen Zugang zum Netz, 28,9 Prozent der 1,3-Milliarden-Bevölkerung. Bis 2015 soll sich durch weitere massive Investitionen ihre Zahl auf mehr als 600 Millionen Personen fast verdoppeln. 233 Millionen der User gehen bereits übers Mobiltelefon ins Netz, heißt es in dem Weißbuch. Peking baue das Internet heute zum "Teil seiner staatlichen Informationsinfrastruktur" aus, nutze die IT-Branche als "Motor des Wirtschaftswachstums" und will sie zur "neuen strategischen Industrie für eine Wirtschaftsentwicklung mit niedrigem CO2-Ausstoß" machen.

Trotz des Eingeständnisses, dass das Internet eine "unersetzbare Rolle" für Chinas Wirtschaft, Wissenschaft und Technik spielt und die "Lebensweise und Arbeit unserer Bürger revolutioniert hat", geht Peking politisch auf Nummer sicher. Das Weißbuch leistet Lippenbekenntnisse zur "vollen Redefreiheit der Bürger im Internet" und zum "Schutz der Privatsphäre". Zugleich aber betont es das über Dutzende Gesetze festgelegte Recht des Staates, umfassende Zensur auszuüben, um die "Online-Verbreitung aller Formen illegaler Informationen" zu stoppen.

Kritik wird nicht angenommen

Kritik an der Internetzensur, die etwa zum Rückzug Googles aus China führte, lässt das Weißbuch nicht gelten: "Innerhalb chinesischen Territoriums steht das Internet unter der Jurisdiktion chinesischer Souveränität." Es macht auch keine Angaben, warum in China weltweite Plattformen wie Facebook, Twitter oder Youtube blockiert sind.

Konkreter sind die Angaben zur wirtschaftlichen Bedeutung des Webs. 99,3 Prozent aller Städte Chinas sind online verbunden (96 Prozent davon über Breitband) und 91,5 Prozent aller Dörfer. Festgestellt wird jedoch eine "digitale Kluft". 72,2 Prozent der Nutzer leben in Städten, 27,8 Prozent auf dem Land. In den Städten sitzen auch fast alle der heute 100 Millionen Kunden, die online einkaufen. Vermerkt sind auch jene 35 Millionen Chinesen, die online im Börsen- oder Wertpapierhandel zocken. Chinas Internetwerbung wird für 2009 auf einen Umsatz von rund 2,4 Mrd. Euro beziffert (plus 30 Prozent). Online-Spiele schlugen 2009 mit fast drei Milliarden Euro zu Buche, knapp 40 Prozent mehr als 2008.

Ein neues Phänomen sei Computerkriminalität. Online-Betrug, Hacker- und Virenangriffe, Online-Pornografie und Glücksspiel stiegen rasant an, stellt das Weißbuch fest. China sei eines "der von Hackern des Auslandes meistangegriffenen Länder". (Johnny Erling aus Peking/ DER STANDARD Printausgabe, 9. Juni 2010)