Nach dem Erringen der Zweidrittelmehrheit der Mandate treibt Viktor Orbán, Ungarns gefeierter Wahlsieger, mit atemberaubendem Tempo den innenpolitischen Kurswechsel seines Landes voran. Eine groß angelegte Säuberung aller wichtigen Stellen im Regierungsapparat läuft auf Hochtouren, und es beginnt, von den ihm völlig hörigen rechtsgerichteten Medien angetrieben, die Abrechnung mit den unterlegenen politischen Gegnern: Verhaftungen und Ermittlungsverfahren gegen die wirklichen oder vermeintlichen Verantwortungsträger der sozialliberalen Ära werden eingeleitet. Zugleich wird ein neues Wahlsystem vorbereitet und die administrative Struktur des Landes umgekrempelt.

Angesichts einer schwachen Opposition hätte die Orbán-Regierung alle Chancen, die außerordentlich erfolgreiche Finanz- und Wirtschaftspolitik des von den gescheiterten Sozialisten und Liberalen in der Stunde der Not zähneknirschend eingesetzten Ministerpräsidenten Gordon Bajnai (April 2009 bis Ende Mai 2010) erfolgreich fortzusetzen. Der 42-jährige parteilose Übergangspremier hat nämlich durch seinen rigiden Sparkurs das internationale Hilfspaket von 20 Milliarden Euro so umsichtig zur Wiederherstellung des Vertrauens in die Kreditwürdigkeit Ungarns eingesetzt, dass selbst US-Präsident Obama in einem ungewöhnlichen persönlichen Abschiedsbrief Bajnais "erfolgreiches Management der drohenden Wirtschaftskrise als ein Beispiel für andere Länder" in ähnlicher Lage gelobt hat.

Wie ist es zu erklären, dass die Orbán-Regierung in einigen Tagen den durch schmerzhafte Sanierungsmaßnahmen aufgebauten internationalen Goodwill durch eine absurde Diskreditierungskampagne der Vorgänger und düstere Voraussagen über eine "kleine Chance" , einen "Beinahe-Staatsbankrott wie in Griechenland zu vermeiden" , fast gänzlich verspielt hat?

Die Mischung aus Panikmache und Arroganz, verbreitet von Amateuren und Pfuschern ("immer neue Leichen im Keller" , "gefälschte Daten wie in Griechenland" ...) in Orbáns Umgebung hat nicht nur den Forint, sondern sogar den Euro und die Börsen auf Talfahrt geschickt. Die Aussagen der zwei engsten Mitarbeiter Orbáns haben laut allen internationalen Beobachtern dem Image der neuen Regierung "sehr ernsthaften Schaden zugefügt" und "es wird lange dauern und eine Menge harter Daten benötigen, um die Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen" (so der Sprecher des Investmenthauses Nomura gegenüber Reuters).

Es bleibt abzuwarten, ob die viel zu spät erfolgten verbalen Korrekturen und das 29 Punkte umfassende neue Wirtschaftsprogramm Orbáns ausreichen werden, den Imageschaden zu begrenzen. Früher als erwartet scheinen jedenfalls die groben außen- und wirtschaftspolitischen Schnitzer die von namhaften ungarischen Schriftstellern und Publizisten geäußerten Befürchtungen über die Folgen der Allmacht Viktor Orbáns und seiner Partei zu bestätigen.

Die Griechen nannten es Hybris ("frevelhafter Übermut, Vermessenheit" laut Duden). Darin liegen auch die Wurzeln des Orbán'schen Spiels mit dem Feuer auf dem globalen Kapital- und Finanzmarkt. (Paul Lendvai, DER STANDARD, Printausgabe, 10.6.2010)