Die ungeliebte Tochter hatte im Gegensatz zu den anderen Manns wenig Künstlerisches vorzuweisen: Monika Mann 1980 am Fenster ihrer Wohnung in der Villa Monacone auf Capri. Von hier hatte sie einen freien Blick auf das Meer.

Foto: Privatsammlung Karin Andert

Standard: Frau Andert, über keine deutschen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts wurde so viel publiziert wie über die literarisch hervorgetretenen Mitglieder der Familie Mann. Umso unverständlicher ist es, dass Monika Mann von dieser Rezeption ausgeschlossen blieb. Warum dieses Desinteresse?

Andert: Die meisten Biografen orientierten sich an den Tagebüchern von Thomas Mann. Lange Zeit waren das die einzigen Zeugnisse, die über Monika Mann Auskunft gaben. In ihnen wird sie von ihrem Vater selten erwähnt und wenn, dann negativ. Es findet sich nur ein positiver Eintrag, als die Klavierlehrerin ihr Spiel lobte. Diese Erwähnung entspricht genau der Position, die Monika in der Familie einnahm.

Standard: Welche Erklärung gibt es für diese Außenseiterposition?

Andert: Diese Außenseiterrolle begann mit ihrem 8. Lebensjahr, als 1918 Elisabeth und 1919 Michael geboren wurden. Bis dahin hatte Katia Mann eine sehr gute Beziehung zu ihrer Tochter Monika. Dann kam der Krieg. Katia Mann wurde immer stärker beansprucht. Um diese Zeit begann die von Thomas Mann offen bekundete Einteilung in geliebte und ungeliebte Kinder. In seinen Tagebüchern finden sich Eintragungen wie "Erika und Klaus heißgeliebt und Elisabeth, bevorzuge diese drei Kinder" . Dies hatte für die Ungeliebten Folgen. Monika und Golo entwickelten sich in ihrem Leben zu sonderbaren Persönlichkeiten. Golo, dem man im Elternhaus vorwarf, er sei "unreinlich" , wurde ins Internat geschickt, während Monika sich in sich selbst zurückzog. Das war das Schlimmste, was sich jemand herausnehmen konnte.

Standard: Sie schreiben, Monika Mann wären "zwei Gesichter" eigen gewesen ...

Andert: Das eine Gesicht war das des muffigen, schweigsamen, problematischen "Mönle" , das zu Hause als "dumm" und "faul" galt. Diese in der Familie wahrgenommenen Eigenschaften bewirkten auch Monikas Rolle als Sündenbock. Während Klaus und Erika Mann drogenabhängig waren, ohne dass dies die anderen Familienmitglieder in besondere Aufregung versetzt hätte, wurde jedes Fehlverhalten des "Mönle" aufgebauscht. Dass sie nichts Künstlerisches vorzuweisen hatte und das kulturelle Niveau der Familie nicht repräsentierte, war mit ein Grund, weshalb Thomas Mann sie nicht mochte. Das zweite Gesicht von Monika, das sie gegenüber Freunden zeigte - und sie hatte viele -, war das eines entspannten, ja geradezu fröhlichen Menschen. Davon zeugen auch ihre Briefe.

Standard: Wenn Sie Monikas Erinnerungen "Vergangenes und Gegenwärtiges" mit denen der anderen Manns vergleichen. Worin unterscheiden sie sich?

Andert: Der Unterschied liegt darin, dass Monika weder Thomas noch Katia Mann in irgendeiner Form kritisierte. Sie klagte ihre Eltern nicht an, sie in diese Außenseiterrolle gedrängt zu haben. Ganz im Unterschied zu Golo, der sowohl mit dem Vater als auch mit der Mutter hart ins Gericht ging. Erika wiederum wollte ein bestimmtes Bild von Thomas Mann herstellen. Liest man die beiden 1956 erschienenen Erinnerungsbücher von Monika und Erika, dann zeigt sich, dass Monika ihren Vater gut kannte, sich tief in seine Psyche einzufühlen vermochte, während Erika von Thomas Mann das Bild eines bis zum Schluss produktiven Schriftstellers entwarf, das in der Wirklichkeit so nicht existierte. Längst wissen wir aus Thomas Manns Tagebüchern, wie sehr er am Ende seines Lebens unter seiner nachlassenden Fantasie litt.

Standard: Sehen Sie grundsätzlich eine Lebensproblematik, die allen Mann-Kindern gemein ist?

Andert: Ich wehre mich, immer nur die Schattenseiten der Familie herauszustellen. Gab es doch daneben eine ungeheure Faszinationskraft, die von dieser Künstlerfamilie ausging. Die Problematik bestand in der Präsenz des "Übervaters" Thomas, dem alles gelang und der so berühmt war. Monika akzeptierte diese Vorrangstellung des Vaters. Sie litt nie unter seiner literarischen Größe, im Gegenteil, sie bewunderte sein Werk. Ich wage die Behauptung, dass sie in ihrer Introvertiertheit dem Vater ähnlicher war als die anderen. Vielleicht mochte er sie deswegen nicht.

Standard: Damit scheint die Familiengeschichte der Manns weniger horribel als die der Wagners ...

Andert: Umso erstaunter war ich, als ich bei den Recherchen feststellte, dass Monika, das "dumme, mir recht verleidete Kind" , wie Katia Mann sie nannte, vielleicht das einzige Mitglied aus dem engeren Kreis der Familie war, das nicht unglücklich war. Zwar hat sie Schreckliches erlebt wie den Tod ihres Mannes Jenö Lányi, der 1940 bei der Überfahrt auf einem Schiff nach Kanada vor ihren Augen im Atlantik ertrank, nachdem ein deutsches U-Boot das Schiff torpediert hatte, und das stundenlange Treiben in den eisigen Wassern des Atlantiks bis zu ihrer Rettung. Aber sie hatte auch ein schönes, von Sorgen weitgehend freies Leben in Berlin, Sanary-sur-Mer, Florenz, Wien, Zürich, London, Princeton, Los Angeles, New York und schließlich auf Capri, wo sie ab 1954 dreißig Jahre lang lebte. Ich bewundere sie, nicht nur, weil es ihr gelang, das große Unglück, das sie betroffen hat, zu überleben, sondern auch diese Familie, in die sie hineingeboren wurde.

Standard: Eine große Bedeutung im Leben von Monika hatte die Musik. Gab es da eine innere Zerrissenheit, ein Schwanken zwischen Hingabe an Musik oder Literatur?

Andert: Das halte ich für ausgeschlossen. Monika Mann kam zur Literatur erst, nachdem sie gemerkt hatte, dass es ihr unmöglich sein würde, die Musik professionell auszuüben. Ihre Liebe galt bis zum Ende ihres Lebens der Musik. Sie blieb jedoch der Tradition verhaftet. Während ihrer Wiener Zeit 1937 verkehrte sie bei Genia Schwarzwald und lernte über Peter Stadlen Schönbergs Kompositionen kennen. Einen Zugang dazu fand sie nicht. Sie wusste aber um ihre Begrenzung auf dem Gebiet der Literatur. Immerhin besaß sie eine gute Begabung zum Schreiben. Die Ursache für ihre Zerrissenheit lag zweifellos in der familiären Konstellation.

Standard: Sie haben zwei Bücher von Monika Mann herausgegeben "Vergangenes und Gegenwärtiges" sowie "Das fahrende Haus" . Wie schätzen Sie die literarische Bedeutung ihres Werkes ein?

Andert: Monika Mann war keine große Schriftstellerin und sie war sich dessen bewusst. Sie selbst bezeichnete sich einmal als eine "Kleinkrämerin" . Sie sah in kleinen feuilletonistischen Arbeiten "Gebirge" , in denen es viel zu entdecken gab. Doch sobald es sich um größere Vorhaben handelte, gelang es ihr nicht, sie zu vollenden - sie blieben Fragmente. Ihre Stärke lag in der literarischen Verarbeitung von Sequenzen aus dem Alltag. Da verfügte sie über ein breites Spektrum an Formen: Aphorismen, Feuilletons, Erzählungen, Märchen und Gedichte, die, ähnlich wie etwa bei Robert Walser, impressionistische Stimmungen wiedergaben. Nie hätte sie einen Roman schreiben können, und keinesfalls kann man bei ihr von einem "unentdeckten Genie" sprechen.

Standard: Heißt das, dass die beiden von Ihnen herausgegebenen Bücher ihr "Werk" umfassen?

Andert: Es gibt noch Briefe. Die sind etwas Besonderes. Nicht allein aus dem Grund, weil es sich um sehr persönliche Dokumente handelt, die einen Blick in ihre Lebens- und Empfindungswelt gestatten, sondern weil diese Briefe zugleich von hoher literarischer Qualität zeugen, gehören sie zu ihrem Werk. Darin unterscheidet Monika Mann sich nicht von den übrigen Mitgliedern ihrer Familie: Sie alle schrieben fantastische Briefe, die auch Literatur waren.

Standard: Wie beurteilen Sie Monika Manns politische Haltung? In ihrem "New Yorker Tagebuch" finden sich Passagen, die sie als politischen Menschen ausweisen ...

Andert: Das Erstaunliche im letzten Teil ihres New Yorker Tagebuchs sind jene Passagen, in denen sie schreibt, man solle den Besiegten, also den Deutschen, wieder auf die Füße helfen. Obwohl sie allen Grund hatte, die Deutschen zu hassen, vertrat sie die Auffassung, eine Bestrafung würde zu nichts führen. Das ist eine unglaublich honorige Einstellung, durch die sie sich von allen anderen Manns unterschied.

Standard: Welche Fragen, Werk und Biografie Monika Manns betreffend, bleiben weiter ungeklärt?

Andert: Es gibt im Leben von Monika eine Menge offener Fragen, die sich vermutlich nie mehr klären lassen. Zum Beispiel finden sich fast keine Zeugnisse über ihre zwölf New Yorker Jahre - mit Ausnahme des Tagebuchs und einiger weniger Briefe. Ebenso ist über ihren Aufenthalt in Florenz wenig bekannt: Ich habe nicht herausfinden können, wann genau sie ihren späteren Mann Jenö Lányi dort kennengelernt hat. Auch über den Aufenthalt beider in London seit Dezember 1938 bis zu ihrer Einschiffung nach Kanada im September 1940 gibt es außer zwei Briefen keinerlei Material.

Standard: Könnten vielleicht eines Tages noch Manuskripte, Briefe oder andere Dokumente Monika Manns auftauchen?

Andert: Mit überraschenden Funden muss man immer rechnen. Ich hätte zum Beispiel nie gedacht, dass es von Monika Mann ein New Yorker Tagebuch gibt. Was darüber hinaus noch vorhanden sein müsste, sind sicher Briefe. Diesbezüglich bin ich recht optimistisch. Was literarische Manuskripte betrifft, glaube ich hingegen nicht, dass noch etwas Bedeutendes zutage kommen wird

(Adalbert Reif, ALBUM - DER STANDARD/Printausgabe, 12./13.06.2010)