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Diego Maradona, Argentiniens alter genialer Zehner, stemmt Lionel Messi, den neuen genialen Zehner.

Foto: AP/Ammar

Und dieser Mann soll müde sein? Diego Maradona, die alte Nummer zehn, hat über Lionel Messi, die neue Nummer zehn, jedenfalls Folgendes gesagt: "Der Fußball wäre nicht schön, würde Messi nicht den Ball berühren." Und Teamchef Maradona biss dabei genüsslich in einen halben Apfel, der Mann ist disziplinierter geworden, vor ein paar Jahren wäre es noch ein ganzer Hamburger mit doppeltem Käsebelag gewesen.

Argentinien ist am Samstag mit einem 1:0 über Nigeria in die WM gestartet. Klingt bescheiden, war es aber überhaupt nicht. Und es war kein Zufall, dass Nigerias Tormann Vincent Enyeama zum besten Spieler der Partie gewählt wurde. Er hat Messi in Schach gehalten. Das Tor hat Verteidiger Gabriel Heinze geköpfelt. Natürlich hätte der Weltverband Fifa auch Messi küren können, aber das wird schon noch. Vermutlich noch oft.

Der 27-jährige Enyeama, Legionär bei Hapoel Tel Aviv, freute sich über den Pokal, der einer Trommel nachempfunden ist, sehr. "Der liebe Gott hat ihn mir geschenkt. Gott ist mein Geheimnis. Ich durfte Bälle des weltbesten Spielers abwehren. Danke, danke, danke." Messi hätte sich nicht so ausführlich geäußert, also war die Wahl durchaus vertretbar.

Der 22-jährige Messi hat im Johannesburger Ellis Park famose Szenen abgeliefert. Von der ersten Minute an hat er den Ball schön berührt. Es war ein Streicheln, ein Kosen, da hatten sich zwei ganz schön lieb. Gemeinsam wurden die Gegner umkurvt und ausgetrickst, natürlich musste man sich auch ab und zu voneinander trennen. Immer dann, wenn Messi aufs Tor geschossen hat. Mit einem Drall, der seines gleich suchte und der halt Enyeama fand.

Messi hätte sich den Titel des Schützenkönigs bereits abholen können. Er hat darauf verzichtet. Natürlich nicht absichtlich. "Ich werde das schon nachholen, es ist ja noch Zeit" , hat er gesagt. Am 17. Juni gegen Südkorea, am 22. Juni gegen Griechenland. Im Achtel-, Viertel-, Halbfinale. Oder im Endspiel am 11. Juli. Es klang wie eine Drohung. Eine wunderbare Drohung. Messi ist Fußball pur. Immer bei Barcelona und jetzt auch im Nationalteam.

Was bei den Argentiniern sonst noch aufgefallen ist: Gleich vier Spieler aus der Startformation verweigern unnötige Modetrends, sie tragen das schwarze Haar lang (Romero, Demichelis, Guiterrez, Tevez). Schulterlang ist untertrieben. Speziell der Zopf von Goalie Sergio Romero ist ein großartiges Erlebnis und die ultimative Antwort auf die unzähligen Kurzgeschorenen oder Glatzköpfigen im aktuellen Weltfußball.

Maradona lässt sehr offensiv kicken, die Abwehr wirkt in manchen Szenen zumindest nicht unverwundbar. Das Trio Gonzalo Higuain (1,82 m, Real Madrid), Messi (1,70) und Carlos Tevez (1,73, Manchester City) stürmt hintereinander aufgefädelt, Nigeria konnte sich darauf nur sporadisch einstellen. Tevez ist ein richtiger Kampfhund, eine Klette, ein Roman Wallner zum vierfachen Quadrat.

Maradona hat bei der Arbeit einen eleganten Anzug an. Der 49-Jährige ist ein äußerst engagierter Teamchef, stets auf Wanderschaft. Sitzt nie auf der Bank, stolziert wie ein Pfau hin und her, auf und ab. Verlässt permanent die gekennzeichnete Coaching-Zone, das ist verboten, aber irgendwie auch wurscht. Mögliche Geldstrafen übernimmt der Verband.

Die Arme hält er die meiste Zeit vor dem sich ständig reduzierenden Bauch verschränkt, ab und zu entknotet er sie, um eine theatralische Geste loszuwerden. Wechselt er einen Spieler aus, wird dieser bereits sehnlichst erwartet und ohne Vorwarnung auf die Wange geküsst. Zum langen Higuain ist Maradona sogar raufgesprungen. Nach Abpfiff wird jeder abgebusselt, da entkommt keiner. Nicht nur Messi wischte sich sogleich das Nasse aus dem Gesicht. Er wurde vom Schmatz voll erwischt. Das war aber zu erwarten, denn der Größenunterschied zwischen den beiden Zehnern ist wirklich nur marginal.

Taub, stumm, blind

Messi beschwerte sich ganz leise über die viel zu lauten Vuvuzelas. "Man versteht die Rufe der Nebenspieler nicht, da kann es zu Missverständnissen kommen." Der Ball ist allerdings auch in Südafrika taub und stumm. Auf Messi hört er trotzdem. Mit Messi flüstert er trotzdem. Weil sie einander blind verstehen. (Christian Hackl aus Johannesburg, DER STANDARD, Printausgabe, Montag, 14. Juni 2010)