Belgien hat gewählt: Starke Gewinne für die separatistische Flämische Allianz, Verluste von Christdemokraten und Rechtsextremen, Triumph der Sozialisten im Süden.

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Brüssel/Wien - Die Verfassung im Königreich Belgien bietet manche Finesse, um schwierige Machtverhältnisse in die geordneten Bahnen einer Regierungsbildung zu leiten. Nach dem Urnengang am Sonntag, der wegen des Sprachenstreits zwischen Flamen und Wallonen und dem erwarteten Erstarken der Nationalisten im Norden als "Schicksalswahl" über Erhalt oder Teilung des Landes betrachtet wurde, wird König Albert II. vermutlich alle diese Register der Staatstechnik ziehen müssen.

Wegen der Zersplitterung der Parteienlandschaft, an der sich durch die Wahl nichts ändert, sind einfache Koalitionen, klare Mehrheiten ausgeschlossen: Im Norden triumphierte die Flämische Allianz, im Süden die Sozialisten, in der dritten Region des Landes, Hauptstadt-Brüssel, schienen nach ersten Ergebnissen die Liberalen vorn. Die Christdemokraten wurden überall geschlagen. Dazu kommt, dass jede Regierung seiner Majestät idealerweise sowohl bei den Flamen im Norden wie auch bei Wallonen die Stimmenmehrheit repräsentieren sollte, um anerkannt zu werden.

Erst dann lässt sich die Frage beantworten, welcher Parteiführer das Amt des Premierministers übernehmen kann. Das ist heikel, weil Kandidaten sich im zähen Verhandlungsprozess um ein Regierungsprogramm schnell aufreiben können. Die letzte Regierungsbildung des scheidenden Premiers Yves Leterme dauerte nicht weniger als 282 Tage.

Um ein voreiliges "Verbrennen" eines Kandidaten zu verhindern, sehen die Regeln für den König die Möglichkeit zur Schaffung einer Art "Schutzraum" : Er beauftragt nicht direkt eine Person seines Vertrauens mit der Bildung einer Regierung (einen "formateur" ), sondern er schaltet einen "informateur" dazwischen, einen informellen Makler, der einmal sondiert, was geht und was nicht.

Wegen der Stärke der Neuen Flämischen Allianz (N-VA) von Bart De Wever, der eine langsame Auflösung Belgiens in zwei Staaten - eben Flandern und Wallonien bei Aufgabe des Zentralstaates verlangt - könnte das diesmal so laufen. Denn dass Albert II. den bulligen Populisten De Wever beauftragt, gilt als ausgeschlossen.

Belgische Könige müssen vor der Thronbesteigung vor beiden Kammern des Parlaments schwören, "die nationale Unabhängigkeit und die Unversehrtheit des Staatsgebietes zu wahren" . Wie sollte also einer Premier werden, der dieses Staatsgebiet "langsam verdampfen" lassen will, wie De Wever im Wahlkampf trommelte?

Was tun mit Separatisten?

Andererseits: Sie völlig zu ignorieren scheint ebenfalls unmöglich. Immerhin ist die De-Wever-Partei in Flandern in der Regionalregierung, bildete mit den geschlagenen Christdemokraten bis 2007 eine Plattform.

Der König, der formell dem Ministerrat vorsitzt und Oberbefehlshaber der Armee ist, ohne politisch eingreifen zu dürfen, muss also wohl einige Umwege gehen, bis er zu einer aussichtsreichen Regierung kommt, sei es mit Elio Di Rupo oder Marianne Thyssen an der Spitze.

Die Lösung der vielen politischen und wirtschaftlichen Probleme des Landes muss also bis auf Weiteres von der bisherigen Regierungsmannschaft erledigt werden. "Das wird auch funktionieren" , zeigte sich ein Diplomat am Wochenende optimistisch, Belgien habe lange bewiesen, dass es durch seinen bewährten Apparat an Beamten auch über lange Regierungskrisen hinweg handlungsfähig bleibt. Das gilt auch für den EU-Vorsitz ab 1. Juli: EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy wird das de facto miterledigen, er war bis Dezember 2009 Premier. (Thomas Mayer/DER STANDARD, Printausgabe, 14.6.2010)