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Die früheren GastarbeiterInnen sind die heutigen PensionistInnen - Stoff für jede Menge Polemik

Foto: AP Photo/Martin Meissner

Sozialstaat nur mit mehr Zuwanderung gesichert" gegen „Ausländer nutzen Sozialstaat aus": Bei diesem Thema gehen die Meinungen diametral auseinander. Migranten werden zu Sündenböcken er- oder zu Heilsbringern verklärt. „Ängste bezüglich der Auswirkungen von Migration auf den Wohlfahrtsstaat gibt es quer durch alle politischen Lager", erklärt der aktuelle Human Development Report des United Nations Development Programme (UNDP). Knapp die Hälfte der Europäer befürchtet, dass Migranten die öffentlichen Finanzen belasten. Nehmen Migranten mehr, als sie geben?

Migranten sind Nettozahler

Das Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz (BMASK) hat die Beiträge, die Ausländer für das Sozialsystem leisten, und die Geldleistungen an Ausländer für das Jahr 2008 gegenübergestellt und kommt zum Ergebnis: „Ausländer zahlen mehr in das Sozialsystem ein, als sie herausbekommen." Nach den Berechnungen sind Personen aus EU-27- Staaten und Drittstaatsangehörige Nettozahler für die beitragsfinanzierten Sozialsysteme Pensions-, Kranken-, Unfall-, Arbeitslosenversicherung und Familienlastenausgleichsfonds (FLAF). Österreicher zahlen 89,3 Prozent aller Beiträge und erhalten 93,8 Prozent aller Geldleistungen. Ausländer zahlen 10,7 Prozent ein, bekommen aber nur 6,2 Prozent heraus.

Laut der EU-Sozialdatensammlung SILC (Statistics on Income and Living Conditions) wurden 2008 33,3 Milliarden Euro an Sozialleistungen an Österreicher ausgezahlt, 0,9 Milliarden an EU-27-Staatsangehörige und 1,3 Milliarden an Drittstaatsangehörige. Dass Migranten derzeit Nettozahler der öffentlichen Haushalte sind, hängt mit der Altersstruktur dieser Gruppe zusammen: Die Zuwanderer sind im Schnitt jünger als die Österreicher, der Anteil an Pensionsbeziehern ist wesentlich niedriger.

Doch auch „Migranten sind nicht unsterblich", stellt der US-Autor Christopher Caldwell in seinem Buch „Reflections on the Revolution in Europe" lakonisch  fest. Auch sie kommen ins Pensionsalter. „Spätestens dann werden wieder neue Zuwanderer benötigt, um das Sozialsystem zu entlasten. Oder die Sozialsysteme werden so umgebaut, dass sie demografisch nachhaltig funktionieren", sagt der Demograf Heinz Fassmann.

Schlüsselfaktor Bildung

Die Empfehlung vieler Migrationsexperten: qualifikationsorientierte Zuwanderung und Qualifizierung der Migranten, die bereits in Österreich leben. Denn das Bildungsniveau von Zuwanderern liegt im Schnitt deutlich unter dem der einheimischen Bevölkerung. Zwar ist das Bildungsniveau unter den deutschen Migranten, der derzeit größten Zuwanderergruppe, sehr hoch: Jeder vierte Mann und jede siebente Frau hat ein Universitätsstudium abgeschlossen - rund dreimal so viele wie unter den Österreichern.

Die ehemaligen „Gastarbeiter" sind jedoch meist schlechter ausgebildet: 77 Prozent der Türken und 89 Prozent der Türkinnen haben nur eine Pflichtschulausbildung aufzuweisen. Auch ihren Nachkommen ist der Bildungsaufstieg nur bedingt gelungen. „Das ,Erbe‘ der Gastarbeit zeigt sich an den geringeren Bildungserfolgen der Jugendlichen aus der Türkei und dem ehemaligen Jugoslawien", bilanzieren Hilde Weiss und Anne Unterwurzacher im „Österreichischen Migrations- und Integrationsbericht". Probleme wie die hohe Arbeitslosenquote unter jugendlichen Migranten ließen sich „aus einer Migrationspolitik erklären, die sich in erster Linie die Regulierung und den Schutz der Arbeitsmärkte zur Aufgabe machte, nicht aber die längerfristige Integration von Migrantenfamilien und den im Aufnahmeland geborenen Kindern."

Die Folge ist eine schlechtere Position auf dem Arbeitsmarkt. Ausländische Arbeitnehmer arbeiten häufiger in Hilfsberufen, haben niedrigere Einkommen, sind öfter arbeitslos. Selbst besser Qualifizierte finden keinen Job: Der Arbeitsmarkt fragt vor allem nach österreichischen Diplomen.

Armut und Wohlfahrt

Die Arbeitslosenquote unter Ausländern lag 2009 bei 10,3 Prozent, während die Gesamtarbeitslosigkeit in Österreich nach internationaler Definition 4,8 Prozent betrug. Menschen mit ausländischer Staatsbürgerschaft haben mit 30 Prozent das höchste Armutsrisiko, gefolgt von bereits Eingebürgerten aus Drittstaaten mit 21 Prozent - deutlich über dem Bevölkerungsschnitt von 12,4 Prozent. Verschärfend kommt hinzu, dass Sozialleistungen bei Migranten weniger effizient sind: „Während die Armutsgefährdung durch soziale Transfers bei gebürtigen ÖsterreicherInnen sowie Personen mit EU-15- und EFTA-Staatsbürgerschaft um etwa drei Viertel gesenkt wird, liegt der entsprechende Wert bei MigrantInnen bei weniger als der Hälfte", hält der „Österreichische Migrations- und Integrationsbericht" fest.

Für Norbert Bichl vom Wiener Beratungszentrum für Migranten und Migrantinnen ist die Bilanz des Sozialministeriums die logische Folge einer Ungleichbehandlung. Er geht noch einen Schritt weiter: „Migranten sind von Armut und Arbeitslosigkeit stärker betroffen. Würde man sagen, wir haben einen funktionierenden Sozialstaat, dann müssten sie auch mehr bekommen, damit Transferleistungen ihren Lebensstandard ausgleichen." Ein Gedanke, der bestens geeignet ist, einmal mehr zu polarisieren. (Von Simone Kremsberger, henri Magazin)