Trauer, Hingabe und Anmut vereint Dante Gabriel Rossetti 1874 in "Roman Widow (Dîs Manibus)"  nach Dante Alighieri

Foto: John Betancourt

Wien - "Wer nicht gleichzeitig ein Epos dichten kann, während er Wandteppiche webt, soll es lieber gleich lassen, er wird nie zu etwas taugen" , mahnte William Morris (1834-1896) einst streng. Denn die Präraffaeliten, zu deren Kreis Morris, Gründer der Arts-and-Crafts-Bewegung, gehörte, strebten das Verschmelzen von Malerei und Dichtkunst an; eine Symbiose, für die ihre Doppelbegabung freilich sehr förderlich war.

Oft in Form von Balladen und Sonetten, verarbeiteten die Präraffaeliten Stoffe aus Bibel und Literatur; insbesondere Sagen keltischen Ursprungs, wie etwa die Artus-Legende, griffen sie auf,aber auch das Märchen von Dornröschen oder Stoffe mittelalterlicher Dichter wie Dante Alighieri. Seine "Divina Commedia" wurde in der präraffaelitischen englischen Übersetzung zum Bestseller. Literarische Vorlieben, die sich niederschlagen in ihrem bildlichen Schaffen; sie sind vom Ideal durchdrungen, Natur wiederzuentdecken, aus ihr zu schöpfen und sie - großteils sogar unter freiem Himmel - nachzuahmen.

Die Gründerväter, John Everett Millais, William Holman Hunt und Dante Gabriel Rossetti, begeisterten sich für Klarheit und Strenge spätmittelalterlicher italienischer Malerei. Sie orientierten sich an Meistern der Frührenaissance - bis zu Raffael. Denn für den Geschmack der "vorraffaelitischen" Meister arbeitete dieser eine Spur zu akademisch.

Ideale, die sich in der Ausstellung "Schlafende Schönheit" allesamt überprüfen lassen: etwa im romantisch verklärten Dornröschen-Zyklus von Edward Burne-Jones (im Belvedere von stilisierten Dornenhecken begleitet), in seinem atemberaubenden, wie ein Heiligtum inszenierten und sein ganzes Leben begleitenden Werk "Schlaf Arthurs in Avalon", in den symbolistisch verklärten Porträts ("Roman Widow" von Dante Gabriel Rossetti) oder in den für den Jugendstil wegweisenden Beispielen der Buchkunst (Crane Walter). Alles ausgeklügelte Arbeiten, die vermutlich nicht nur mystisch-romantisch veranlagte Betrachter ins Schwelgen geraten lassen. Einfach schön.

Nach Stationen in London, Madrid und Den Haag zeigt nun das Wiener Haus Meisterwerke der viktorianischer Malerei, um sie logisch um Werke österreichischer Künstler der Jahrhundertwende (u. a. Gustav und Ernst Klimt) zu ergänzen und deren Auseinandersetzung mit Idealen der Präraffaeliten nachvollziehbar zu machen. Danach kehren die rund drei Dutzend viktorianischen Beispiele in ihre Sammlung nach Ponce in Puerto Rico zurück.

Nach Puerto Rico? Ja, der karibische Inselstaat ist in der Tat ein ungewöhnlicher Ort für eine derart hochkarätige präraffaelitische Kollektion. Zu verdanken ist sie der Faszination des Industriellen Don Luis Alberto Ferré Aguayo, der das Museo de Arte de Ponce 1959 gründete: Zu "Spottpreisen" konnte Aguayo noch in den 1950er- und 1960er-Jahren die Werke von Rossetti & Co erwerben, die heute am Markt zehn bis 15 Millionen Euro erzielen würden, so Kurator Alfred Weidinger.

"Sie waren nicht salonfähig" , galten als "absoluter Kitsch" - so auch eines der Hauptwerke der Schau, "Flaming June" von Frederic Leighton. 1895 hat er die anmutig Schlummernde in S-Form zusammengefaltet und eine Komposition größter Geschlossenheit geschaffen, die sich auf Michelangelos "Allegorie der Nacht" (Medici-Grab Florenz) zurückführen lässt.

Lange Zeit schlief die Juno in einer Londoner Rahmenhandlung, wo irgendwann ihr kunstfertiger Goldrahmen verkauft wurde. Für 200 Pfund erbarmte sich ihrer eines Tages ein Kunsthändler und küsste sie wach, indem er sie später an den Sammler aus Puerto Rico verkaufte. (Anne Katrin Feßler / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 15.6.2010)