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Wahlsieger Bart De Wever in Pose: Er will auf das Amt des Regierungschefs verzichten, stellt aber umso härtere Bedingungen für eine Koalition.

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Elio Di Rupo könnte erster Premier aus Wallonien seit 1974 werden.

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Nach dem Wahlsieg der flandrischen Separatisten von Bart De Wever hat Elio Di Rupo, Chef der wallonischen Sozialisten, gute Chancen, nächster Premierminister Belgiens zu werden. Jede Koalition wird schwierig.

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Brüssel/Wien - Nach dem deutlichen Wahlsieg der flämisch-nationalen Separatisten von der Neuen Flämischen Allianz (N-VA) stellte deren Anführer Bart De Wever am Montag zum Start der Koalitionsgespräche erste Bedingungen zur Bildung einer neuen Regierung. Der umstrittene Wahl- und Gerichtskreis Brüssel-Halle-Villevorde (BHV) rund um die belgische Hauptstadt, die in Flandern liegt, müsse aufgelöst, für Brüssel eine spezielle Lösung gefunden werden, bekräftigte er am Montag.

Mit dieser zentralen Forderung hat De Wever aufgezeigt, dass die von König Albert II. gestarteten Konsultationen so schwierig werden wie nie zuvor. Denn sie steht im krassen Gegensatz zum Programm des zweiten großen Gewinners der Wahl, der wallonischen Sozialisten (PS) im Südteil des Landes unter ihrem Chef Elio Di Rupo. Der will die Einheit Belgiens bewahren, die französischsprachigen Teile gegen die zunehmenden Separations- und Aushungerungsoffensiven der Nationalisten verteidigen. Viele Kommentatoren waren sich am Tag nach der Wahl jedoch einig, dass ohne Di Rupo und De Wever kaum eine andere Lösung möglich ist, wenn man eine politische Lähmung verhindern will. Die beiden müssten den Weg zu einem Kompromiss und Ausweg ebnen. De Wever hat erklärt, dass er selber nicht Premierminister werden wolle, sich eine Zusammenarbeit mit Di Rupo aber vorstellen könne. Es wäre das erste Mal seit 1974, dass jemand aus dem französischsprachigen Süden belgischer Premier wird.

Wie das gehen soll, ist vorläufig aber ein Rätsel. Der "Sprachenstreit" um eine Neuregelung für den Raum BHV und die Staatsreform hatte erst im April zum Sturz der Regierung unter Premier Yves Leterme geführt. Es geht um ein Gebiet von 35 flämischen Gemeinden, die zu Flandern gehören, in denen aber mehr als 100.000 französischsprachige Belgier leben, die über Sonderrechte verfügen.

Die Separatisten von De Wever wollen diesen Zustand beenden, Brüssel langfristig als unabhängige (dritte) Region auflösen und aus Belgien eine Konföderation von zwei weitgehend unabhängigen Staaten - Flandern und Wallonien - machen. Nur noch wenige Kompetenzen etwa beim Heer oder Finanzen blieben bei der Bundesregierung. Gesundheit, Soziales müsste ganz in die Regionenverantwortung übergeführt werden.

Der Norden stellt mit sechs Millionen Einwohnern die Mehrheit der Gesamtbevölkerung gegenüber 4,5 Millionen Wallonen. Letztere sind nach dem Niedergang der Schwerindustrie auch wirtschaftlich deutlich schwächer. Die Transferzahlungen für die ärmeren Regionen in der Höhe von bis zu zehn Milliarden Euro pro Jahr einzustellen ist das zweite Ziel der National-Allianz.

De Wever und Di Rupo haben also neben der Lösung der Schulden- und Wirtschaftskrise eine Reihe von schier unüberwindbaren Problemen zu lösen. Sie sind aber die einzigen beiden Politiker, die persönlich stark aus der Wahl hervorgingen.

Die N-VA besetzt mit 27,8 Prozent Wähleranteil in Flandern 27 Mandate im Bundesparlament. Ihr Nachteil ist, dass es (naturgemäß) kein Pendant in der Wallonie gibt, auf ganz Belgien umgerechnet kommen die Separatisten auf 17,4 Prozent.

Das ist der Grund, warum die Sozialisten den Führungsanspruch für Di Rupo stellen: Sie haben in der Wallonie einen schönen Sieg und 26 Mandate errungen (plus 6). Gemeinsam mit den flämischen Sozialisten (13) kommen sie auf 39 Mandate. Chancenlos im Machtspiel scheinen die Christdemokraten, die in Flandern dramatisch verloren haben. Theoretisch wäre eine Neuauflage der "Regenbogenkoalition" von SP, Grünen und Liberalen möglich, wie sie unter Guy Verhofstadt von 1999 bis 2007 existierte. Aber die Liberalen sind ebenfalls hart abgestraft worden. Eine Regierung "gegen Flandern" ist kaum denkbar. (Thomas Mayer/DER STANDARD, Printausgabe, 15.6.2010)