Andrea Berg ist als Zentralasienbeauftragte der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch in Bischkek.

Foto: Standard/Human Rights Watch

Augenzeugin Andrea Berg berichtet Verena Diethelm von katastrophalen Zuständen in der Stadt Osch und den Hintergründen des Konflikts, bei dem bisher mehr als 124 Menschen getötet wurden.

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STANDARD: Sie waren bis Sonntag in Osch. Wie ist denn die Lage?

Berg: Noch immer sehr angespannt. Es gibt zwar weniger Schießereien und Attacken, aber auch nur deshalb, weil die meisten Usbeken bereits geflohen oder tot sind. Leider ist der Konflikt bereits auf andere Gebiete mit einem großen usbekischen Bevölkerungsanteil übergesprungen. Es ist schwer zu sagen, welche Dimensionen das hier noch annehmen wird.

STANDARD: Die Versorgung ist zusammengebrochen, die Geschäfte sind geplündert ...

Berg: Die Menschen überleben mehr, als dass sie leben. Das Ganze ist eine humanitäre Katastrophe. Usbekistan berichtet von 65.000 Flüchtlingen an seiner Grenze. Viele wollen aber die Grenze nicht überqueren, weil sie in ihrer Heimat bleiben wollen. Diese Menschen müssen mit Lebensmitteln und Medikamenten versorgt werden. Außerdem benötigen sie Schutz. Es gibt Berichte, wonach Kirgisen an den Flüchtlingen in Jeeps vorbeifahren und in die Menge schießen.

STANDARD: Worin besteht denn der Konflikt zwischen Kirgisen und Usbeken?

Berg: Im Prinzip gibt es keinen Konflikt zwischen Usbeken und Kirgisen. Das war ein angezetteltes Massaker, das sich die bestehenden Spannungen zu Nutzen gemacht hat. Das ist kein ethnischer Konflikt. Er wird nur als solcher verkauft. Im Grund geht es darum, die Interimsregierung zu destabilisieren und das Land ins Chaos zu stürzen.

STANDARD: Aber es muss doch schon davor Probleme gegeben haben, dass die Lage so eskaliert?

Berg: Es gibt natürlich ungelöste politische und sozioökonomische Probleme. So ist etwa Usbekisch keine offizielle Sprache. Usbeken sind im öffentlichen Leben nicht angemessen vertreten. Kleinigkeiten, die zur Unzufriedenheit geführt haben. Die Menschen wurden instrumentalisiert. Es ist klar ersichtlich, dass der Konflikt organisiert und vorbereitet wurde. Während es nirgendwo Benzin zu kaufen gibt, fahren gut ausgestattete Gruppen mit Jeeps durch die Straßen.

STANDARD: Wer steckt dahinter?

Berg: Darüber gibt es nur Spekulationen. Aber der Name des Ex-Präsidenten Kurmanbek Bakijew steht ganz oben auf der Liste.

STANDARD: Wie kann eine weitere Eskalation verhindert werden?

Berg: Wir setzen uns ganz stark für die Entsendung von Friedenstruppen mit einem UN-Mandat ein. Man muss die ganze Region im Auge behalten. In Usbekistan ist die Lage seit den Unruhen in Andischan im Mai 2005 auch angespannt. Die ganze Region ist ein explosives Pulverfass.

STANDARD: Wie geht es denn der kirgisischen Minderheit in Usbekistan?

Berg: Es gibt Berichte über gegenseitige Rache. Diese Informationen sind aber nur sehr schwer zu überprüfen. (DER STANDARD, Printausgabe, 15.6.2010)