Wien - Am Silvesterabend wurde Harald W. in seiner Wiener Wohnung erschossen. Doch sein Tod begann schon am 9. September. Als ein Verfahren wegen Vergewaltigung gegen ihn eingestellt wurde. Denn damals beschloss der 20-jährige Verlobte der Frau, dass Harald W. sterben muss. Fast vier Monate tüftelte er an seinem Plan - der erst ein halbes Jahr nach der Tat von der Polizei aufgedeckt werden konnte.

Die Vorgeschichte: Im Sommer 2009 war die Freundin des mutmaßlichen Täters mit Harald W., den sie nur flüchtig aus einem Lokal kannte, und einer weiteren Person offenbar freiwillig in dessen Wohnung. Dort soll sie vergewaltigt worden sein. Die Staatsanwaltschaft ermittelte - "das Verfahren wurde aber aus Mangel an Beweisen eingestellt", sagt Sprecher Thomas Vecsey.

Eine Entscheidung, die Alexander W. nicht akzeptieren konnte. Der Installateurlehrling ist intelligent, Vorzugsschüler in der Berufsschule. Sein erstes Problem: Er hat nur die Adresse des späteren Opfers, weiß aber nicht, wie er aussieht. Im Internet besorgt er sich eine Pen-Cam, einen Kugelschreiber mit eingebauter Minikamera. Er verkleidet sich als Paketbote, geht zur Wohnung von Harald W., verwickelt ihn in ein Gespräch und filmt ihn dabei. Die Verlobte identifiziert ihn.

Komplizensuche

Der 20-Jährige braucht für seinen Plan nun Komplizen. Drei seiner Freunde, 20 bis 23 Jahre alt, helfen ihm bedingungslos. "Wir vermuten, dass er jedem nur Teile seines Plans verraten und ihnen spezifische Aufträge erteilt hat", sagt Heinz Grossauer, Ermittler in der Außenstelle Nord des Wiener Landeskriminalamtes.

Alexander W. lässt sich eine Waffe besorgen und so präparieren, dass keine Hülse, die man identifizieren könnte, ausgeworfen wird. Am Tattag ruft er um 14 Uhr das spätere Opfer an, gibt sich wieder als Paketzusteller aus und fragt, bis wann er liefern könne - bis zum frühen Abend, erfährt er.

Am späten Nachmittag beginnt das Quartett, ein Alibi zu konstruieren. W. und zwei seiner mutmaßlichen Komplizen geben dem dritten ihre Handys, dieser fährt damit in W.s Auto nach Pressbaum bei Wien. Sein Auftrag: Er soll eine Radarbox auslösen - was ihm aber nicht gelingt.

Gegen 18 Uhr kommen die anderen drei zum Tatort, einem Wohnhaus in Wien-Floridsdorf. Einer der Verdächtigen bleibt im Fluchtfahrzeug, der Haupttäter postiert sich maskiert neben der Wohnungstür des Opfers, der dritte läutet unten an. Als Harald W. die Tür öffnet, schießt ihm Alexander W. einmal ins Gesicht und flüchtet.

Die Rückbank des Fluchtautos ist mit Folie ausgelegt, um zu verhindern, dass mögliche Schmauchspuren auf den Autositz gelangen. Der Schütze zieht sich um, verpackt die mit Schießpulver kontaminierte Kleidung in einem Rucksack, der später im Wald mit Benzin übergossen und angezündet wird. Die Tatwaffe vergräbt er in der Nacht im Wienerwald.

Für die Polizei ist die Arbeit schwierig. Zunächst ist nicht klar, ob Harald W. durch einen Mord oder einen Unfall mit einem Silvesterknaller umgekommen ist. Auch das Motiv ist unklar. Bei Verwandten und im Umfeld wird ermittelt. 35.000 Rufdaten werden analysiert. Irgendwann taucht die Vergewaltigungsanzeige auf, die Kriminalisten beginnen sich darauf zu konzentrieren. Am Donnerstag wird der Haupttäter am Arbeitsplatz seiner Verlobten verhaftet, bis Samstag seine Komplizen. Sachbeweise gibt es nicht - aber schließlich die Geständnisse. (Michael Möseneder/DER STANDARD-Printausgabe, 15.6.2010)