Noch ist nicht einmal klar, ob Bedürftige mit 1. September 744 Euro im Monat ausbezahlt bekommen - denn Kanzler Faymann und sein Vize Pröll streiten um die Länderdaten für das Transferkonto.

Foto: Matthias Cremer

Wien - Nicht gerade freundlich wurden die rot-schwarzen Regierungsmitglieder am Dienstag vor dem Ministerrat am Ballhausplatz empfangen. Ein grüner Trupp, angeführt von Eva Glawischnig und Karl Öllinger, sowie der Chor der Wiener Straßenzeitung Augustin versuchten die eintrudelnden Minister davon zu überzeugen, dass ihre geplante Mindestsicherung von 744 Euro pro Monat für sozial Bedürftige "nicht ausreichend" sei - weil diese immer noch deutlich unter der Armutgsgrenze von 950 Euro liege. Und als der rote Verhandler Rudolf Hundstorfer vorbeieilte, schmetterte ihm die Abordnung vom Obdachlosenblatt das Lied Hey, hey Rudi! entgegen.

Doch drinnen, im Kanzleramt, herrschte in der ganzen Angelegenheit nach wie vor Blockade, obwohl sich Kanzler Werner Faymann (SPÖ) und sein Vize Josef Pröll (ÖVP) sichtlich bemühten, Optimismus zu versprühen. Man gehe "sehr koordiniert und gut abgesprochen" vor, versicherte Faymann. Es zeuge von "gutem Stil" über laufende Verhandlungen nicht öffentlich zu diskutieren, betonte Pröll. Denn: "Wir haben bis zum 30. Juni Zeit, Gespräche zu führen."

Noch ist nicht einmal klar, ob überhaupt die 744 Euro ab September zur Auszahlung gelangen werden. Denn die Beschlussfassung der Mindestsicherung wackelt. Mittlerweile ist in der Koalition Tempo angesagt, soll die neue Sozialhilfe - wie von den Sozialdemokraten gewünscht - mit 1. September in Kraft treten. Die Bürgerlichen haben ihre Zustimmung allerdings an die Einrichtung der Transparenzdatenbank geknüpft, die Sozialtransfers sowie Subventionen ersichtlich machen soll - doch hier scheiterten SPÖ und ÖVPbisher daran, wie die Länder eingebunden werden sollen, die das neue Kontrollinstrument auch mit Daten anfüttern sollen.

Inhaltlich sind die letzten Streitpunkte ausgeräumt, jetzt geht es nur darum, wann die Länder sich bereit erklären, Daten für die Transparenzdatenbank zu liefern. Die Roten wollen die Zustimmung der Länder unbedingt vor der Beschlussfassung eines Bundesgesetzes einholen. Die Schwarzen meinen hingegen, zuerst brauche es ein Bundesgesetz, es reiche, wenn die Länder danach ihren Sanktus zur Veröffentlichung von Daten geben.

Bis zum 30. Juni - da tritt der nächste Sozialausschuss im Parlament zusammen - müssen Faymann und Pröll einen Kompromiss aushandeln. Andernfalls bleibt der Koalition kaum mehr Zeit, die Mindestsicherung vom Nationalrat zeitgerecht absegnen zu lassen, denn die Abgeordneten drohen schon bald in ihre Sommerpause zu entschwinden.

Die letzten Nationalratssitzungen sind für 7., 8. und 9. Juli anberaumt. Davor muss eben der Sozialausschuss einen entsprechenden Beschluss fassen. Ob der tagt und wann der tagt, das sind jetzt die letzten Erpressungsmittel, mit denen sich SPÖ und ÖVP jeweils unter Druck zu setzen versuchen.

Spießen könnte es sich auch an einer anderen Front: in Niederösterreich. Es sei "zu befürchten", dass es zu keiner rechtzeitigen Beschlussfassung komme und die Mindestsicherung somit nicht mit September in Kraft treten könne, teilte Landesrätin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) mit (siehe: "Mindestsicherung in Niederösterreich wackelt"). Schuld seien die Roten. SPÖ-Städte würden sich weigern, die Kosten (Aufteilung 50:50 für Land und Gemeinden) zu übernehmen. Der Städtebund habe mitgeteilt, "dass sich die SPÖ-Städte, allen voran St. Pölten, weigern, die Kosten zu übernehmen", erklärte Mikl-Leitner. Gebe es keine Rücknahme der Verweigerung, werde es "keinen Beschluss im Landtag und damit keine Mindestsicherung geben", drohte sie.

Die FPÖ wiederum übte scharfe Kritik an der Untätigkeit der Regierung und will Sozialminister Hundstorfer am Mittwoch im Parlament mit einer Dringlichen Anfrage in die Pflicht nehmen. (Michael Völker und Nina Weißensteiner, DER STANDARD, Printausgabe, 16.6.2010)