Standard: Seit 2004 gibt es in Österreich den Unternehmerführerschein von der WKÖ, um Schülern Wirtschaftswissen und Unternehmergeist näherzubringen. Was ist die Idee dahinter?
Sözen: Der Unternehmerführerschein ist ein Bildungsprojekt, das den Schülern die Angst vor der Wirtschaft nehmen und ihren Unternehmergeist fördern soll.
Standard: Wie kann man sich das in der Praxis vorstellen?
Sözen: Der Lehrstoff kann sowohl an Gymnasien als auch an anderen Schulen unterrichtet werden. Ab der 8. Schulstufe kann man mit dem ersten der vier Module beginnen. Das Lern- und Lehrmaterial besteht aus einem Buch und einer CD-ROM. Die Module sind aufbauend und können in jeweils einem Jahr oder einem Semester durchlaufen werden. Am Ende schließt man mit der Unternehmerprüfung ab, womit die Jugendlichen dann ein aussagekräftiges Zertifikat besitzen, welches sie bei ihren Bewerbungsschreiben als Zusatzqualifikation auflisten können.
Standard: Jugendliche beschweren sich genau über diesen Punkt: Sie fühlen sich überfordert, weil sie ohne Zusatzqualifikationen und besondere Zertifikate am Arbeitsmarkt völlig untergehen. Wie sehen Sie das?
Landertshammer: Das ist durchaus eine Gefahr, weil wir wissen, dass in der Oberstufe die Belastung für die Jugendlichen wahrscheinlich schon an der Grenze angelangt ist. Daher wird es notwendig sein, im gesamten Schulsystem mehr auf die individuellen Neigungen, Fertigkeiten und Potenziale des einzelnen Schülers einzugehen und den Unterricht zu individualisieren. Nicht das Gleiche für alle, sondern das jeweils Richtige für jeden Jugendlichen.
Standard: Glauben Sie, dass dieses Ziel mit der Neuen Mittelschule erreicht werden kann?
Landertshammer: Die Neue Mittelschule ist sicher ein wesentlicher Schritt auf dem Weg dorthin. Eine Trennung der Kinder im Alter von zehn Jahren ist zu früh, daher muss es einen differenzierten Unterricht geben. Was uns aber noch fehlt, ist ein umfassendes pädagogisch-didaktisches Konzept für diese Neue Mittelschule. Wir glauben, dass die Schule in Zukunft vor allem sozial gerechtere Chancen für alle bieten muss.
Standard: Viele Schüler machen von der Möglichkeit Gebrauch, sich etwa im Schülerparlament bildungspolitisch zu engagieren. Sie beklagen jedoch, dass dort gefasste Vorschläge nicht wahrgenommen werden.
Landertshammer: Ich glaube, dass es uns gewachsene Strukturen, die über Jahrzehnte oder Jahrhunderte etabliert sind, unheimlich schwer machen, flexibel zu reagieren. Beim Schülerparlament geht es ja auch eher darum, zu erkennen, wie Prozesse ablaufen können. Dass Dinge wirklich umgesetzt werden, sind wahrscheinlich eher Ausnahmen und Glücksfälle, aber da geht es nicht nur den Schülern so.
Standard: Diese starren Strukturen sind auch ein Grund, warum in der Bildungspolitik alles so langsam läuft. Könnte die Ministerin von der Wirtschaft etwas lernen?
Landertshammer: Ich glaube, dass die Bildungsministerin, die ja aus der Wirtschaft kommt, richtige Ansätze hat und sich bemüht, Grundprinzipien der Wirtschaft auf das Schulsystem zu übertragen. Wir sind in einer großen Koalition, wo beide Seiten immer auf den nächsten Landtagswahltermin oder sonstige nächste Wahltermine starren. 2011 ist eine Chance, weil es keine einzige Wahl gibt. Vielleicht bringt das den Durchbruch. Die beiden Ministerinnen sind sich, glaube ich, schon ziemlich einig, was man tun sollte. Die Forderung ist, dass Sachpolitik, also Ergebnisse, wichtiger sein muss als Parteipolitik. Es gibt den Vorschlag, die Blockade, die die SPÖ bei den Studiengebühren und Zugangsregelungen für den universitären Bereich hat, gegen die Blockade der ÖVP im Bereich der gemeinsamen Schule der Sechs- bis 14-Jährigen zu tauschen.
Standard: Was ist Ihnen bezüglich der bevorstehenden Chance auf eine Veränderung im Schulsystem besonders wichtig?
Landertshammer: Das Wichtigste beim Lernen ist, dass man Spaß daran hat. Der Appell richtet sich eher an die Lehrer. Denn je kreativer, interessanter, bunter, fröhlicher und spannender der Unterricht ist, desto leichter fällt den Schülern auch das Lernen. Neben der fachlichen Fertigkeit muss ein Lehrer den Kindern Flügel verleihen können und sie nicht zu Disziplin, Ruhe und letztlich Anpassung an das System drängen. (Magdalena Legerer und Vanessa Gstrein, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 16.62010)