Wien - Deutscher Gründlichkeit ist es zu verdanken, dass ein Diebstahl in der Wienbibliothek bekannt wurde, den man 1994 zu vertuschen versucht hatte.

Damals hatte man bei einer Gesamtrevision der Musiksammlung festgestellt, dass von einem 611 Seiten starken Konvolut, auf dem Johann Strauß Sohn vor allem Partiturskizzen des unvollendeten Balletts "Aschenbrödel" festgehalten hat, nur 480 vorhanden waren. Gerüchteweise sollen Mitarbeiter, die Aufklärung forderten, mundtot gemacht worden sein.

Wer für den Diebstahl verantwortlich ist, sei schon damals bekannt gewesen: Man leitete gegen den Mitarbeiter XY (der Name ist dem 'Standard' bekannt, die Person lebt in Klagenfurt) aus anderen Gründen ein Disziplinarverfahren ein und trennte sich von ihm. Die Polizei wurde aber nicht eingeschaltet. Silvia Mattl-Wurm, seit 2004 Chefin der Wienbibliothek, bestätigt: "Man hat den Diebstahl vermerkt, aber nicht angezeigt."

Und man scheint auch in den letzten Jahren kein Interesse an einer Aufklärung gehabt zu haben. Denn im März 2008 wurden der Stadt Coburg 61 Strauß-Autografen angeboten: "Mit Bleistift geschriebene Partiturskizzen, unter anderem auch vom berühmten Thema des 'Donau-Walzers'", so der Verkäufer in einem E-Mail.

Über Ralph Braun, den Vorsitzenden der Johann-Strauß-Gesellschaft in Coburg, hatte die Wienbibliothek bereits 21 der gestohlenen Seiten zurückerhalten. Er wird auch 2008 involviert, gibt sich interessiert und lässt sich Kopien schicken. Zudem informiert er die Wienbibliothek, wie die Zeitung 'Neue Presse' kürzlich berichtete: "Dort kennt man den Anbieter der Dokumente, und zwar als Mittelsmann eines Mitarbeiters, der wegen eines vermuteten Diebstahls aus dem Dienst ausgeschieden ist. Für Ralph Braun ist die Sache erst mal erledigt, er denkt, dass man die Sache in Wien zur Anzeige bringen wird."

Just diese Blätter wollte das Kölner Auktionshaus Venator & Hanstein Ende März dieses Jahres (Schätzpreis: 33.000 Euro) versteigern. Die Kriminalpolizei Köln stellte die 61 Seiten sicher. Ins Rollen kam die Sache aber nicht nach einem Hinweis aus der Wienbibliothek, so die 'Neue Presse', sondern vom Bundeskriminalamt. Nun endlich wird auch in Wien ermittelt. (Thomas Trenkler / DER STANDARD, Printausgabe, 17.6.2010)