Kristof Schreuf, deutscher Gründervater der diskursiven Hamburger Schule

Foto: Buback

Zuletzt hörte man von Kristof Schreuf 2003. Damals las er beim jährlichen Wettstreit um den Bachmann-Preis in Klagenfurt den Auszug eines kommenden Romans, der im Suhrkamp-Verlag veröffentlicht werden sollte. Sieben Jahre später wartet man zwar immer noch vergeblich auf die Publikation von "Anfänger im Rocken", eine Paraphrase auf J. D. Salingers Klassiker "Der Fänger im Roggen".

Zumindest die Technik der Paraphrase aber scheint sich bei Kristof Schreufs nunmehr vorliegender Rückkehr zur Musik erhalten zu haben. Der 47-jährige Hamburger vertraut auf seiner ersten musikalischen Arbeit seit 1997 weitgehend auf Klassiker der Rock- und Popgeschichte. Mit Ausnahme der Eigenkomposition "Bourgeois With Guitar" verwendet der Gitarrist und Sänger einzig scheinbar in Hitradios zu Tode gespieltes Repertoire, wie man es in der versuchten Nachstellung der Originalstücke heute längst auch von jeder Tanzmusik auf Maturabällen hören kann.

"My Generation" von The Who, "Search & Destroy" von Iggy & The Stooges, "Highway To Hell" von AC/DC, "I Feel Love" von Donna Summer, "Keep On Rocking in The Free World" von Neil Young, "Last Night A DJ Saved My Life" von Indeep: Allesamt dienen diese Songs allerdings nicht dazu, eine durchaus vermutete Schreib- und Kompositionsblockade Kristof Schreufs zu kaschieren. Schreuf dienen diese Stücke im Wesentlichen als Ausgangspunkt für etwas ganz anderes. (Auch autobiografisch determinierte) Zusammenhänge, Spuren, Wurzeln und das individuelle Hören wie Musizieren bestimmende Ströme herauf ins Jetzt sollen hier entdeckt werden.

Etwa wenn der Musiker in der Paraphrase auf den späten Discoklassiker "Last Night A DJ Saved My Life" auch Zitate und Melodielinien aus Santa Esmeraldas "Don't Let Me Be Misunderstood" mit "Miss You" von den Rolling Stones kurzschließt - und dazu auch noch Richard Hells Punkklassiker "Blank Generation" stellt. In "My Generation" erleben wir dieselbe Technik. Hier trifft Pete Townshends Text auf die Melodie des durch Simon & Garfunkel bekannten "Scarborough Fair". Mit sanftem Gesang, freundlichen elektrischen und akustischen Gitarren und diversen Gästen betreibt Schreuf Geschichtsaufarbeitung und befindet sich mit der von ihm zudem hochunspekulativ verwendeten Technik des Mash-up doch immer im Heute.

Historisch hat der Mann übrigens selbst genug Verdienste mit seinen ruppigen, angriffslustigen Gitarrenbands Kolossale Jugend und zuletzt 1997 mit Brüllen erworben. Er ist mit den Alben "Heile, heile Boches", "Leopard II" oder "Schatzitude" wesentlicher Gründervater einer intellektuellen Popnische namens Hamburger Schule, die später mit Bands wie Blumfeld oder Tocotronic zum Massenphänomen wurde.

Schreuf selbst singt in der Titelnummer seines Soloalbums jetzt die schöne Textzeile "Ich bin der Riss / Ich will durch Wände". Er verdeutlicht damit, um was es ihm in seiner Arbeit immer schon ging. Es geht zum einen um Grenzüberschreitung, zum anderen aber auch darum: mit dem Kopf durch die Wand. (Christian Schachinger / DER STANDARD, Printausgabe, 18.6.2010)