Bern - Die Schweiz prüft, ob sie vor internationalen Gremien gegen Libyen wegen Entführung vorgehen kann. Das gab Außenministerin Micheline Calmy-Rey in einem am Freitag veröffentlichten Interview mit "20 Minuten Online" bekannt. Nach Einschätzung von Experten in Bern wäre ein Anrufung internationaler Gerichte, der künftig vom früheren Schweizer Bundespräsidenten Joseph Deiss geleiteten UNO-Vollversammlung oder des Weltsicherheitsrates in New York möglich.

Dabei geht es um die Entführung der beiden Schweizer Geiseln Rachid Hamdani und Max Göldi im vergangenen Herbst. Die Geschäftsleute waren aus der Schweizer Botschaft in Tripolis gelockt und fast acht Wochen an einem unbekannten Ort getrennt festgehalten worden. Insgesamt saßen sie laut Calmy-Rey 53 Tage in Isolationshaft. Sie waren dabei ohne Tageslicht und ohne Kontakt zur Außenwelt. Zugleich betonte die Ministerin, die Schweiz wolle keine "Retourkutsche" gegenüber Libyen. "Natürlich sind wir wütend, ich auch", sagte sie, "aber Retorsionsmaßnahmen dienen unseren Interessen nicht."

Libyens Machthaber Muammar al-Gaddafi hatte sich mit der Forderung nach einer "Auflösung" der Schweiz an die Vereinten Nationen gewandt. Er hatte erklärt, die Eidgenossenschaft sei kein Staat, sondern ein "Verbrecherkartell". Ihr Territorium müsste nach den Sprachregionen unter den Nachbarstaaten aufgeteilt werden.

"Aufwandsentschädigung" und kein Lösegeld

Calmy-Rey wehrte sich gegen den Eindruck, die Schweiz hätte für die Freilassung Göldis letztlich ein Lösegeld bezahlt. Die 1,5 Millionen Franken auf einem deutschen Konto für Libyen seien eine "Aufwandsentschädigung" und kein Lösegeld, betonte sie. Das Geld werde nur ausbezahlt, wenn jene nicht gefunden und bestraft würden, die der Tageszeitung "Tribune de Genève" Polizeifotos des Gaddafi-Sohnes Hannibal zugespielt haben. Allerdings sei die Identifizierung der Täter "eher unwahrscheinlich", gab sie zu.

Ein mit Libyen vereinbartes internationales Schiedsgericht wird sich mit der vorübergehenden Verhaftung von Hannibal Gaddafi und dessen Frau Aline in Genf im Juli 2008 befassen. Dem Ehepaar war Misshandlung von Hausangestellten zur Last gelegt worden. Calmy-Rey rechnet mit einem "salomonischen Urteil". Es werde keine weitere Entschuldigung und nicht mehr Geld vonseiten der Schweiz geben.

Göldi war in der Nacht auf Montag in die Schweiz zurückgekehrt, nachdem er fast vier Monate in einem libyschen Gefängnis und insgesamt ein Jahr und elf Monate in Libyen festgehalten worden war. Hamdani konnte im Februar nach einem Jahr und sieben Monaten das nordafrikanische Land verlassen. (APA)