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Raymond Domenech und die Kluft zum Rest

Foto: AP/Mori

Polokwane - Nach der Schmach von Polokwane appellierte Nationaltrainer Raymond Domenech an den Stolz seiner Spieler - doch selbst den hat der gedemütigte Vizeweltmeister Frankreich in Südafrika verloren. Das 0:2 (0:0) am Donnerstagabend gegen Mexiko war eine Bankrotterklärung. Ein Vorrunden-Aus wie schon vor acht Jahren ist kaum noch zu verhindern. Ein Wunder ist nicht in Sicht und die Anhänger haben sich bereits von ihrer Equipe Tricolore abgewendet.

"Wir müssen den Stolz und die Ehre haben, das letzte Spiel gegen Südafrika zu gewinnen. Aber es liegt nicht mehr in unseren Händen", sagte Domenech nach dem zweiten Gruppenspiel und rang nach Worten: "Ich weiß nicht, was ich der Mannschaft sagen soll. Ich bin sprachlos."

Dafür schrieben die Medien in der Heimat Klartext und versagten Les Bleus jegliches Mitgefühl. "Bloß keine Trauer. Und Ärger schon gar nicht. Es wäre zu viel an Gefühlen für diese Spieler, deren Ego ihr einziges Banner ist", kommentierte die Sporttageszeitung L'Equipe und ergänzte: "Große Klappe, aber kein Charakter. Frankreich blickt auf ein Trümmerfeld."

Auch Zinedine Zidane ging hart ins Gericht. "Frankreich hatte nicht einen einzigen Schuss auf das gegnerische Tor. Ich bin enttäuscht", erklärte der Weltmeister von 1998 und fügte vielsagend hinzu: "Mexiko war vor allem physisch in ausgezeichneter Verfassung." Der Trainer habe Yoann Gourcuff demotiviert, weil er diesen auf der Bank gelassen habe. "Er hat die Entscheidung so getroffen, aber ich bin anderer Meinung", sagte der Welt- und Europameister dem mexikanischen TV-Sender Televisa.

Der ehemalige Frankreich-Legionär Klaus Allofs meinte im deutschen Fernsehen. "Die Franzosen waren als Mannschaft gar nicht da." Allofs bemängelte die personelle Ausrichtung des Champions von 1998 "Ribery spielte meiner Meinung auf einer falschen Position in der Mitte. Mir gefällt er besser, wenn er über die Flügel kommt", äußerte der Europameister von 1980. "Was die Franzosen geboten haben, war kein Auftritt für eine WM. Sie haben einfach ihren Stiefel runtergespielt."

Der Großteil der Spieler, darunter auch der wirkungslose Franck Ribery, flüchtete nach dem "blauen Alptraum" (Liberation) ohne Kommentar in den Mannschaftsbus. Immerhin stellten sich Kapitän Patrice Evra und Florent Malouda den unbequemen Fragen. Beide sprachen selbstkritisch von einer "Schande".

Domenech nahm die Verantwortung für die erste Niederlage Frankreichs gegen Mexiko bei einer WM auf sich. "Ich bin für diese Mannschaft verantwortlich. Deshalb ist es meine Schuld", sagte der in der Heimat so ungeliebte 58-Jährige, der nach der Endrunde von Laurent Blanc abgelöst wird. Eine Entscheidung des Verbandes, die die Autorität des Trainers wohl nicht gerade gestärkt haben wird.

Abgeschrieben

Es war wohl ein Fehler, vor der WM an Domenech festzuhalten. In Polokwane wurde sichtbar, dass die Kluft zwischen dem Trainer und dem Team nicht mehr zu überbrücken ist. Während der Trainer die Partie fast teilnahmslos verfolgte, glich der Auftritt seiner Stars einer Arbeitsverweigerung. Warum Rekordschütze Thierry Henry auf der Bank schmorte, ließ Domenech unbeantwortet.

Für den Einzug ins Achtelfinale benötigen die Franzosen nun einen Sieg im Gruppenendspiel am Dienstag in Bloemfontein gegen Gastgeber Südafrika - und einen günstigen Ausgang des Parallelspiels: Beim zeitgleich stattfindenden Duell zwischen Mexiko und Tabellenführer Uruguay müsste es einen klaren Sieger geben. Spielen Mexiko und Uruguay remis, sind Frankreich und Südafrika draußen.

Doch Frankreich  hat  anscheinend ohnehin genug von den Blauen. "Eine Mannschaft ohne Herz und Seele", schrieb die Tageszeitung Le Figaro:"'Es wäre eine Schande, wenn dieses Team noch das Achtelfinale schafft."

Schadenfreude herrschte in Irland: Nachdem ein Handspiel von Thierry Henry im Qualifikations-Playoff den Iren den Sprung zur WM verbaut hatte, wird das voraussichtliche Scheitern der Franzosen mit großer Genugtuung verfolgt. "Das ist genau das, was Frankreich verdient", schrieb die Irish Times. "Da wird wohl kaum jemand eine Träne vergießen", assisitierte der Irish Examiner. 

Mexiko träumt

Dagegen feierte Mexiko nach den Toren der eingewechselten Javier Hernandez (64.) und Cuauhtemoc Blanco (79., Foulelfmeter) ausgelassen seine Helden. In Polokwane zogen die Anhänger mit ihren Sombreros bis tief in die Nacht durch die Straßen. In Mexiko-Stadt sahen mehr als 60.000 Fans die Partie vor Großbildleinwänden und feierten anschließend auf dem zentralen Platz El Angel weiter. Die Sportzeitung La Aficion schrieb: "Dieser historische Triumph lässt uns träumen."

Die Mannschaft äußerten sich indes zurückhaltend. "Wir haben noch nichts erreicht und noch ein schweres Spiel vor uns", sagte der 22 Jahre alte Hernandez, dessen Großvater schon gegen Frankreich getroffen hatte und der nach seinem Opa und Vater als Dritter seiner Generation bei einer WM dabei ist. Auch der 37 Jahre alte Blanco, der nun bei jeder seiner drei Endrunden-Teilnahmen einen Treffer erzielt hat und drittälterster Torschütze der WM-Geschichte ist, sieht noch keinen Grund zum Jubeln. "Wir freuen uns, mehr nicht", meinte der "weiße Hai" und forderte: "Gegen Uruguay müssen wir den nächsten Triumph suchen."(sid/red)