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Der Belgier Olivier De Schutter ist Jurist und Experte für Menschenrechte. Im Jahr 2008 löste er den Schweizer Jean Ziegler als UN-Sonder-berichterstatter für das Recht auf Nahrung ab.

Foto: APA/EPA/Trezzini

STANDARD: Sehen Sie im Erwerb von landwirtschaftlichen Flächen durch ausländische Regierungen und Firmen in Afrika eher eine Win-win-Situation oder aber eine neue Form des Kolonialismus?

De Schutter: Von einer Win-win-Situation kann wohl kaum die Rede sein. Ich bin über diese Entwicklung äußerst besorgt. In vielen Ländern Afrikas gehört das Land dem Staat, und die Regierungen gehen davon aus, dass sie darüber bestimmen können. Dadurch wird es oft an Investoren vergeben, denen man keine Regeln auferlegt, was den Respekt der lokalen Bevölkerung betrifft. Viele Kleinbauern und Hirten, aber auch Naturvölker, die für ihr Überleben vom Wald abhängig sind, werden politisch sehr schlecht vertreten und laufen Gefahr, bei den Deals auf der Strecke zu bleiben.

STANDARD: Also Neokolonialismus?

De Schutter: Was mich an dem Ausdruck - abgesehen davon, dass er unnötig polemisch ist - stört, ist, dass der wirtschaftliche Druck, dem der Boden unterliegt, nicht nur von ausländischen Investoren ausgeübt wird. Lokale Investoren und Politiker sowie deren Freunde und Verwandte sind oft genauso involviert.

STANDARD: Das ist doch aber nichts Neues. Regierungen, die mit der Agrarindustrie zusammengearbeitet haben oder von ihr kontrolliert wurden, gab es doch schon früher. Man denke nur an die oft zitierten Bananenrepubliken.

De Schutter: Es scheint so, als ob alte Szenarien, deren negative Auswirkungen man offensichtlich vergessen hat, neu aufgelegt würden.

STANDARD: Was ist mit den vielen Vorteilen, die der lokalen Bevölkerung von den Investoren versprochen werden?

De Schutter: Das Ziel von Investitionen dieser Größenordnung sind fast immer Plantagen von sehr großem Ausmaß, die wenige Arbeitskräfte benötigen. Selbst wenn einige wenige Menschen davon profitieren könnten, werden viele andere von ihren Wasserressourcen abgeschnitten, auf unfruchtbares Land verdrängt und in der Folge gezwungen, die Landwirtschaft aufzugeben.

STANDARD: Trotzdem werden Sie nicht bestreiten, dass die afrikanische Landwirtschaft Investitionen dringend nötig hat.

De Schutter: Das stimmt natürlich: Es wurde in der Vergangenheit viel zu wenig investiert. Darum ist die afrikanische Landwirtschaft viel unproduktiver als zum Beispiel jene Südostasiens. Während man in Afrika 1,4 Tonnen Weizen per Hektar produziert, sind es in Südostasien 4,7 Tonnen. Das sind große Unterschiede. Doch dass Afrika Investitionen nötig hat, steht nur am Beginn der Überlegung. Nicht alle Investitionen sind gleich. Und es gibt eben auch solche, die zu Landflucht und Hunger führen.

STANDARD: Oft geht es um Länder wie Äthiopien, die sowieso schon Probleme haben, ihre Bevölkerung ausreichend zu ernähren.

De Schutter: Das ist ein Paradoxon, das oft unterstrichen wird. Es geht aber noch weiter. Denn was man dabei meistens übersieht, ist, dass solche Investitionen auch eine Art internes Doping erzeugen. Während große Plantagen in den Genuss von Krediten und landwirtschaftlichem Input kommen, bleiben diese den Kleinbauern vorenthalten. Dadurch wird die Produktion auf den Plantagen und im nationalen Durchschnitt gesteigert - was zwar die Regierungen freuen dürfte, die obendrein noch Devisen ins Land kommen sehen; doch die niedrigeren Preise der Großproduzenten verdrängen die Kleinbauern aus dem Wettbewerb - wodurch sich Armut und soziale Unterschiede auf dem Land noch vergrößern könnten. Wie Sie vielleicht wissen, ist die Ursache des Hungers in der Welt heute nicht eine zu geringe Produktion von Nahrungsmitteln, sondern die Armut und die ungerechte Verteilung von Reichtum.

STANDARD: Was schlagen Sie also vor, damit demokratische Länder wie Korea oder Japan, die offensichtlich interessiert sind, verantwortungsvoll investieren können?

De Schutter: Das ist ganz einfach: Sie sollen investieren, ohne dass es zu einem Wechsel des Grundbesitzers kommt. Es gibt genügend Beispiele für das, was man auf Englisch "contract farming" nennt. Dabei wird den Investoren ein regelmäßiger Zugriff auf die Produktion garantiert, wenn sie sich verpflichten, den Bauern Zugang zu Produktionsmitteln, Krediten und Technologie zu gewähren. Dazu müssen nicht Millionen von Hektar an Ländereien den Besitzer wechseln. (DER STANDARD, Album, 19.6.2010)