Im Fall Zogaj wird derzeit, wie schon oft, abgewartet. Die Frage ist, wann Arigona, ihrer Mutter Nurije und den beiden kleinen Geschwistern die Ausreiseaufforderung von der Bezirksauptmannschaft Vöcklabruck ins Haus flattert - und wie rasch die Abreise laut dieser Behörde (die in dieser Causa wohl direkt aus dem Innenministerinnenbüro beraten wird) zu erfolgen hat .
Angesichts dieser für die Familie extrem belastenden Situation - man versuche zum Beispiel, sich ohne Anti-„Gutmenschen"-Verkrampfung in die Lage der zwei kleinen Geschwister hineinzuversetzen: in Österreich geboren, von ihrer Mutter getrennt und in den für sie fremden Kosovo geschickt, vom Vater dort verlassen, auf Schlepperwegen zu ihr zurückgebracht, und jetzt sollen sie dort wieder hin - drängt sich eine kurze Betrachtung über das Wesen verantwortlichen politischen Handelns auf. 

Daran nämlich mangelt es bei den, wie es in Amtsdeutsch heißt, „aufenthaltsbeendenden Maßnahmen" seit Jahren - sofern man die von heimischen Politikern auszuübende Verantwortung nicht ausschließlich auf Inländer, sondern auch auf die „Fremden" bezieht. Und auf deren Kinder.
Denn hier haben die handelnden Entscheidungsträger vielfach das Augenmaß verloren, in Österreich ebenso wie in anderen EU-Staaten. „Fremde" Minderjährige und Jugendliche werden Härten ausgesetzt, wie sie sich Einheimische für ihre eigenen Kinder verbieten würden: immerhin ist man im aufgeklärten Europa von schwarzer Pädagogik ja schon einigermaßen abgekommen.

Drei Beispiele aus Österreich:
- Vor zwei Wochen hat ein 16-jähriger Afghane in Wien in der Schubhaft einen Suizidversuch begangen. Er erlitt schwere Hirnschäden, wird wohl ein Pflegefall bleiben. Die 14 Tage davor hatte er im Polizeianhaltezentrum eingesperrt verbracht, weil er laut EU-Dublin-Verordnung in einen anderen Staat geschickt werden sollte: Ein Jugendlicher, der allein nach Europa geflohen ist und in Österreich statt Beistand nur Gefängnis erlebt hat.
- Vor einem Jahr wurde Ahmad Khodadadi, Flüchtling aus Afghanistan, aus Österreich nach Griechenland abgeschoben. Jetzt volljährig, war er als unbegleiteter Minderjähriger nach Österreich gekommen: Khodadadi lebt in Athen derzeit immer noch auf der Straße; das dortige Asylsystem ist in einem derart schlechten Zustand, dass der Europäische Menschenrechtsgerichtshof zuletzt zwei Abschiebungen aus Österreich nach Griechenland in letzten Minute aussetzte. Khodadadi hilft das nichts.
- 2008 wurde ein 18-Jähriger aus Österreich in den Kosovo ausgewiesen, der seit seinem ersten Lebensjahr hier gelebt hatte. Er hatte Drogendelikte begangen. Dass seine Eltern schon länger Österreicher sind (er jedoch nicht), half kein Bisschen. Im Kosovo fand er keinen Job und keinen Halt. Seine Sucht wurde wieder akut - dann verliert sich seine Spur. 


Auch wenn die kleinen Zogaj-Geschwister im Unterschied dazu jetzt nicht mutterseelenallein dastehen: Die Selbstverständlichkeit, mit der ihnen ein weiterer existenzieller Bruch zugemutet wird, ist beachtlich. Und auch, wenn es Mehrheitsmeinung ist, dass kriminelle Ausländer tunlichst aus Österreich ausgewiesen werden sollen - und wenn jugendliche Flüchtlinge für Innenministerium generell unter dem Verdacht stehen, als "Ankerpersonen" in Europa die Funktion zu haben, die Restfamilie nachzuholen: Die Härte, mit der man sie und andere Kinder von "Fremden" behandelt, ist unverantwortlich.

Irene.Brickner@derStandard.at