Wien - Man kann es sich einfach machen und den mit Themen wie Tütensuppe, Fruchtfliege, Nana-Mouskouri-Konzert, bärtiger Delfin oder Arbeiterkinderdenkmal bekanntgewordenen deutschen Liedermacher Funny van Dannen zitieren: "Ich habe eigentlich kein Thema. Das Thema ist das Leben. Da gibt es keine Einschränkungen." Allerdings muss der Mann auch nur jeweils drei Minuten am Thema dranbleiben - und in seinem Geschäft der schnellen Reize kann man mit Witzen am laufenden Band durchaus gut leben.
Wenn es aber um Literatur geht - und Funny van Dannen veröffentlicht auch in diesem Genre wohlweislich nur Kurzgeschichten - wird die Sache mit der Zwangsoriginalität schon schwieriger. Nicht jedem Autor ist es gegeben, die Pointenschleuder auf die lange Distanz in Gang zu halten. Nicht jedem Juror beim Klagenfurter Wettlesen ist es vergönnt, beispielsweise antretende Autoren wie Thomas Kapielski (Baden in Baden-Baden, 1999), Peterlicht (Die Geschichte meiner Einschätzung am Anfang des dritten Jahrtausends, 2007) oder Tilman Rammstedt (Der Kaiser von China, 2008) nicht nur für hochamüsant zu halten, sondern auch als literarisch gewichtig einzuschätzen. Kann sich jemand daran erinnern, dass in Klagenfurt bei den jährlichen Tagen der deutschsprachigen Literatur jemals ein lustiger Text den Ingeborg-Bachmann-Hauptpreis gewonnen hätte? Blödeln kann man nicht ernst nehmen. Und wo, wenn nicht in Klagenfurt, wird Literatur als ernste Sache verhandelt?
Die deutsche Journalistin Angela Leinen tut sich diese oft lebensmüde machenden Tage in Klagenfurt regelmäßig in der Fan-Kurve an. Ihre daraus gezogenen Erkenntnisse hat sie jetzt in einem vergnüglichen Reader zusammengefasst: Wie man den Bachmannpreis gewinnt. Gebrauchsanweisung zum Lesen und Schreiben (Heyne Verlag, München).
Angehende Dichterfürsten erfahren aus diesem Band allerdings nicht, wie man sich tatsächlich anstellen muss, um die Jury dieses wie jeden Literaturpreises zu überzeugen. Immerhin aber sieht man aus jüngeren Erfahrungen mit Daniel Kehlmanns Weltvermessung, dass es nichts schaden kann, wenn man zuvor schon zwei, drei Preise gewonnen hat, um mit diesen als Jurybegründung weitere zu erhalten.
Wie man den Bachmannpreis gewinnt ist dennoch allen Betriebsnudeln ans Herz zu legen. Neben vielen Textbeispielen und Jurymeldungen aus der Geschichte der Veranstaltung, die mitunter zum Fremdschämen einladen, bietet Angela Leinen zumindest praktische Tipps, wie und worüber man möglichst nicht schreiben sollte, um am Ende zwar keinen Preis, dafür aber ein gutes Buch in Händen zu halten.
Möglicherweise hätte ein betroffen machender Text über einen in den Nuller-Jahren in Berlin-Mitte lebenden schwulen alleinerziehenden Vater und DJ mit Parkinson-Syndrom ja ernsthafte Chancen auf einen Preis. Der, die, das Autor/In sollte aber im Sinne seiner, ihrer, unserer literarischen Möglichkeiten den Schwerpunkt auf die traumatischen Erlebnisse des Romanprotagonisten als jugendliches Stasi-Opfer in der DDR schreiben. Merke: Bis zum Mauerfall bekam jeder aus dem deutschen Osten antretende Autor einen Preis. Damit könnte er im günstigsten Fall ein allgemeingültiges Bild menschlicher Niedertracht in Unrechtsregimen vor dem Leser ausbreiten.
Und er wäre nicht gezwungen, stattdessen in sensibel dampfenden Schilderungen der täglichen Windelwechsel zu schwelgen. Merke: Ausführlich beschriebenes Glück mit kleinen Kindern kommt in keiner Jury dieser Welt gut an. Kitsch, auch politisch-korrekter, ist schließlich eine Frage der Dosierung und Erfahrung. Wie brachte es der berühmte Fotograf Andreas Feininger auf den Punkt: "Auf den meisten Bildern ist zu viel drauf."
Reden statt bumsen
In hübsch betitelten Kapiteln wie Kunst oder Kacke? oder Das mühsame Vergehen der Zeit oder Menschliche Zwischenfälle II: Sex spürt Leinen nicht nur literarischen Begriffen wie Handlung und Spannung und einer Liste überreizter literarischer Themen nach: Ferien-/Jugenderlebnisse, Midlife-Crisis, Abrechnung mit ehemaligen Lebenspartnern, der Literaturbetrieb. RAF, Mutter. Auch der inflationäre Einsatz von Dialogen in zeitgenössischer Literatur erfährt eine interessante Begründung. Wenn man viel redet, muss man nicht bumsen. Und über Sex schreiben können bekanntlich nur die wenigsten. (Christian Schachinger, DER STANDARD/Printausgabe, 22.06.2010)