Ann Arbor - Vermutet wurde es von Primatenforschern und Anthropologen schon seit langem. Doch nun ist es wissenschaftlich bewiesen, dass "Banden" von Schimpansen Individuen benachbarter Gruppen nur deshalb töten, um das eigene Revier auszudehnen. US-Forscher um John Mitani von der Universität von Michigan beobachteten eine Schimpansenpopulation in Uganda über zehn Jahre hinweg. Dabei wurden die Primatologen direkte Zeugen von 18 tödlichen Attacken, die im Zusammenhang mit der Eroberung von neuem Land standen. Meist handelte es sich um Attacken auf Schimpansenkinder, wie die Forscher im Fachblatt "Current Biology" berichten.
Über zehn Jahre lang beobachteten die drei Primatenforscher eine Horde Schimpansen im Kibale Nationalpark im Westen Ugandas. Mit 150 Tieren war die Ngogo-Gruppe ungewöhnlich zahlreich. Allein 13 getötete Artgenossen stammten aus einer einzelnen Nachbarhorde, die im Nordosten der Ngogo-Gruppe lebte. Nachdem die Schimpansen sich bei dieser rivalisierenden Gruppe Respekt verschafft hatten, dehnten sie ihr Revier um 22 Prozent in deren Richtung aus.
Nicht durch menschliche Einflussnahme verzerrt
"Das neu erworbene Territorium entspricht jenem Areal, das vorher von vielen Opfern bewohnt wurde", erklärt Mitani. "Deshalb vermuten wir eine Ursachenbeziehung zwischen den vorherigen Akten tödlicher Gruppengewalt und der folgenden Ausdehnung des Reviers." Die Forscher vermuten, dass der größere Lebensraum den Menschenaffen mehr Nahrungsoptionen bietet. Möglicherweise, so spekulieren sie, sorge das ausgedehnte Revier zusätzlich auch für besseren Zugang zu Weibchen.
Zwar hatten früher schon andere Wissenschafter von Gewaltexzessen zwischen konkurrierenden Gruppen berichtet, darunter die berühmte Primatenforscherin Jane Goodall. Aber alle hatten den Schimpansen Futter gegeben, um ihr Vertrauen zu gewinnen. Dies könne das Verhalten der Tiere beeinflusst haben, bemängelten Kritiker bisher.
Dieser Einwand, so glaubt Kevin Langergraber vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, sei mit der neuen Studie vom Tisch. "Die Ngogo-Schimpansen wurden nicht von Menschen gefüttert", sagt der Primatenforscher. "Das dürfte die Kritik verstummen lassen, solches Verhalten sei unnatürlich."
Die Taktik
Die US-Forscher beschreiben detailliert, wie Trupps von meist männlichen Schimpansen gezielt in Nachbarreviere eindringen. "Die Patrouillen sind still und bewegen sich mit List", erklärt Mitani. "Sie halten regelmäßig an, um die Umgebung zu sondieren, denn sie suchen nach anderen Schimpansen. Sie greifen nur dann an, wenn sie ihren Gegnern an Zahl weit überlegen sind."
Sylvia Amsler von der Universität Arkansas, die einem Trupp von 28 Ngogo-Schimpansen folgte, beschreibt eine Attacke: "Sie waren seit über zwei Stunden außerhalb ihres Reviers unterwegs, als sie eine kleine Gruppe von Weibchen überraschten", berichtet sie. "Fast sofort nach dem Kontakt attackierten die Männchen des Trupps die Weibchen, von denen zwei Junge trugen." Sofort packten die Angreifer eines der Jungtiere und töteten es. Das andere Muttertier versuchte lange, seinen Nachwuchs gegen die Übermacht zu beschützen, am Ende vermutlich vergebens. "Obwohl sie das Jungtier der Mutter nicht wegnehmen konnten, wurde es offensichtlich sehr schwer verletzt", sagt Amsler. "Wir glauben nicht, dass es überlebt hat." (APA/tasch/DER STANDARD, Printausgabe, 22. 6. 2010)